Weinberg, Mieczyslaw

Konzert für Klarinette und Streichorchester op. 104

Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Sikorski, Hamburg 2010
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 71

Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) war Komponist und Pianist mit einem von Verfolgungen des Nazi- bis Stalin-Terrors heimgesuchten, in Warschau begonnenen, jüdisch geprägten Leben. Seine Melodik wird von Ulrike Patow beschrieben als „mal introvertiert, meditativ-reflektierend, mal voll übersprudelnder Lebensfreude“. Von Zirkusnummern und Hörspielmusiken bis zur Auschwitz-Oper Passažirka, von der simplen Melodie mit ebensolcher Begleitung bis zu vertrackter Zwölftönigkeit reicht seine künstlerische Weite. Aus polnischer, russischer, moldawischer neben der jüdischen Volksmusik im Background sowie gewissen Einflüssen von Mahler, Bartók, Prokofjew und Schostakowitsch (mit ihm 30-jährige Freundschaft) entwickelte sich Weinbergs eigener Stil, dessen formaler Charakter die Klarheit des klassischen Vorbilds besaß.
Sein Konzert für Klarinette in A und Streichorchester tendiert zur „übersprudelnden Lebensfreude“, was sich im 1. Satz in Sechzehntelpassagen ausdrückt, oft aus langwertigem Ausgangston, Vierteltriolen, zum Teil gegen bassige Halbesynkopen sowie Schälung der Sechzehntelschwünge zur Motivreihung aus zwei Sechzehnteln auftaktig plus Achtel, schließlich in der Klarinette etwa im Spiel mit Verminderten-Arpeggien. Immer wieder clusterähnliche Viertel im Orchester schaffen Kontraste für Tutti-Triolisierendes. Im 132er-Allegro hat dieser Satz insgesamt etwas Vorwärtstreibend-Entschlossenes. Der Andante-Satz beginnt bei langwertig begleitendem Or­chesterpart mit einer schlichten Viertelmelodie, die sich in einem virtuoseren Teil bis zu 32-teln fortsetzt, nach einem zweiten Viertelvorlauf sich wie­derum kompliziert einschließlich Folgen von Quintolen, Sextolen, Septolen hin zu duodezimischer Viertelunterteilung, quasi als Triller, um dann ruhig zu schließen. Der Schlussklang geht ein in das attacca sich fortsetzende kurz-straffe Motiv aus dur-gebrochenen Achtel-zwei-Sechzentel-zwei-Ach­teln im 2/4-Alleg­retto des 3. Satzes, eröffnet von der Klarinette. Dieses Motiv korrespondiert oft mit dem Orchester, führt sein kokett zwischen Dur und Moll spielendes Eigenleben samt kreativ Gespiegeltem oder mutiert zu Punktierten-Folgen, um vor der Solistenkadenz sich in eine Art bäuerlichen Walzer zu ergießen. Alle Sätze werden immer wieder markiert von wechselnötigen Wiederholungen bis nahe zum Triller, bevorzugt mit Quarten und Terzen, dabei sicherlich die Boehm-Klarinette im Fokus, woraus dann auf der Oehler-Motorik ab und an „undankbare“ Griffe folgen. Eine solche Quartenkette beschleunigt sich auch in der Kadenz, die ebenso die Verminderten-Brechungen aufnimmt und mit nicht leicht zu handhabenden quasi Weber’schen Schlussaufgängen mittels Cis-Dur-Skalen (auf fis) über drei Oktaven in die kurze Orchesterstretta aus dem Hauptmotiv eingeht.
Das Werk dauert etwa 24 Minuten. Die unmittelbare auch körperliche Wirkung ist wohl in seinem osteuropäisch-rhythmischen Duktus zu suchen. Der Schwierigkeitsgrad für das Soloinstrument wechselt mitunter deutlich und ist deshalb mit „eher schwer“ zu überschreiben; der Orchesterpart selbst liegt etwas darunter. Repräsentative Orchester von Musikausbildungsstätten (als Mindestvergleichsgröße) dürften dieses Werk gerade realisieren können; dabei ist Motivationspower fast garantiert.
Maximilian Schnurrer