Paul Hindemith

Konzert für Klarinette und Orchester/ Quartett für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier/ Sonate für Klarinette und Klavier

Sharon Kam (Klarinette), Antje Weithaas (Violine), Julian Steckel (Violoncello), Enrico Pace (Klavier), hr-Sinfonieorchester, Ltg. Daniel Cohen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Orfeo
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 70

Die Klarinettenwerke Paul Hindemiths sind im Konzertleben wenig präsent. Dies gilt in ähnlicher Weise für das CD-Repertoire, das vorwiegend ältere Aufnahmen enthält. Umso verdienstvoller ist das Engagement von Sharon Kam, drei seiner Werke aus den verschiedenen Genres neu einzuspielen. Es sind Werke, die alle nach seinen „wilden Jahren“ entstanden sind und für seinen neoklassizistischen Stil stehen.
Das viersätzige Klarinettenkonzert ist 1947 als Auftragswerk für Benny Goodman entstanden, ohne dass dessen vornehmliches Metier, dem Hin-demith in seinen jungen Jahren zugeneigt war, Einfluss auf die musikalische Gestaltung genommen hat. Das Konzert ist kein mit technischen Finessen gespicktes Virtuosen-Konzert, sondern ein zwischen Solist und Orchester eher ausgewogenes Werk. Im ersten Satz zeigt sich Hindemith als Meister der thematisch-motivischen Arbeit mit einem allgegenwärtigen Quartenmotiv. Die Soloklarinette fügt sich in das oft kontrapunktische Liniengeflecht mit kantabler Melodik nahtlos ein.
Insgesamt wird das Orchester neben markanten Tuttipartien sehr kammermusikalisch geführt. Entsprechend umsichtig leitet Daniel Cohen das hr-Sinfonieorchester, während Sharon Kam den Solopart mit geschmeidig-elegantem Ton und dynamisch optimal abgestuft interpretiert. Den langsamen dritten Satz spielt sie sehr spannungsvoll mit sensiblem Ausdruck.
Bereits zehn Jahre früher hat Hindemith ein Quartett für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier geschrieben, das seine Vorliebe für lyrische Kantilenen zeigt. Nach einem verhaltenen ersten Satz findet er im ausgedehnten zweiten Satz zu einer ans Romantische gemahnenden Expressivität. Der dritte Satz beginnt ähnlich verhalten mit der gleichen Tempobezeichnung „Mäßig bewegt“ wie der Kopfsatz, geht dann aber nach Temposteigerungen und Verbreiterungen mit einem überraschenden stürmischen Klaviereinsatz abrupt zu Ende.
Die innere Bewegtheit des Quartetts wird von den beteiligten Instrumenten gleichermaßen getragen. Das Ensemble um Sharon Kam mit der Violinistin Antje Weithaas, dem Cellisten Julian Steckel und dem italienischen Pianisten Enrico Pace sind die kongenialen Kammermusikpartner, die zu einem homogenen Quartett-Klang gefunden haben.
Unbeschwerter im Tonfall klingt die Sonate für Klarinette und Klavier, die ein Jahr nach dem Quartett, 1939, entstanden ist. Die aufwärtsstrebende, etwas verspielte Thematik des ersten Satzes, der zweite lebhafte scherzoartige Satz und der Finalsatz „Kleines Rondo“ werden von Enrico Pace und Sharon Kam leichthin musiziert, der kontrastierende, komplexere langsame Satz mit großer Emotionalität.
Nun fehlt zur Vervollständigung des Hindemith-Revivals nur noch das Klarinettenquintett op. 30 von 1923 für B- und Es-Klarinette.
Heribert Haase