György Ligeti
Konzert
für Violine und Orchester, Klavierauszug
György Ligetis Violinkonzert gehört zu den überragenden Meisterwerken dieser Gattung und ist gleichzeitig eine der anspruchsvollsten Kompositionen für Geige und Orchester überhaupt. Geschrieben hat es
Ligeti für Saschko Gawriloff, der seinerzeit in der Neuen Zeitschrift für Musik sehr anschaulich über Entstehung und Uraufführungen der verschiedenen Fassungen berichtet hat. Als Gawriloff Ligeti 1984 die Komposition eines Violinkonzerts vorschlug, wehrte dieser zunächst ab, um dann wenig später die Anregung aufzugreifen: Ihr Projekt reizt mich. Ich würde das gerne machen, aber es wird einige Jahre dauern, bis es fertig ist. Bis zur Uraufführung der ersten, dreisätzigen Fragment-Fassung verstrichen sechs Jahre. Der Perfektionist Ligeti war jedoch wie so oft keineswegs zufrieden mit dem Resultat und arbeitete das Werk danach grundlegend um. Zwei weitere Jahre später erfolgte die Premiere der heutigen fünfsätzigen Fassung. Die Erstaufführung der finalen Version, für die Ligeti nochmals erhebliche Änderungen der Orchestrierung des dritten und vierten Satzes vornahm, erlebte das Violinkonzert im Juni 1993 durch Gawriloff und das Ensemble InterContemporain unter der Leitung von Pierre Boulez.
An Vielgestaltigkeit, Farbigkeit und Komplexität sucht dieses Konzert in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinesgleichen. Auf das flirrend-fiebrige Perpetuum mobile des Präludiums folgten sanglich-expressiv, im Mittelabschnitt mysteriös Aria, Hoquetus und Choral. Das Intermezzo mit der langen gesungenen Melodielinie der Sologeige über flüchtig dahinrasenden Sechzehnteln des Orchesters und die archaisch-depressive Passacaglia wirken wie Hommages an Alban Berg und Béla Bartók (ihrerseits Schöpfer absolut herausragender Violinkonzerte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts), das abschließende Appassionato, dessen Angstschreie (mit Angst, gleichsam schreiend) unter die Haut gehen, mündet in eine Solokadenz, die Material des vom Komponisten verworfenen ursprünglichen Einleitungssatzes aufgreift und an deren Konzeption wiederum Saschko Gawriloff maßgeblich beteiligt war.
Bislang gab es von diesem Konzert keinen Klavierauszug. Kann man auf dem Klavier überhaupt die komplexen Farbstrukturen von Ligetis Partitur mit ihren Mikrotönen, der riesigen Schlagwerkbesetzung ein 15 Einheiten umfassendes Instrumentarium , Skordatur-gestimmten Streichern, Okarina, Natur-Flageoletts der Hörner usw. auch nur einigermaßen adäquat abbilden? Olga Kroupová und Miroslav Kroupa, beide selbst renommierte Komponisten und Pianisten, haben jetzt, fast ein Vierteljahrhundert nach den Premieren, dieses Wagnis unternommen. Herausgekommen ist dabei ein Notentext, der, auch wenn naturgemäß vieles fehlen muss, erstaunlich viel von Ligetis Partitur übrig lässt, im Übrigen in erster Linie dem Zweck dient, dem Solisten das Einstudieren entscheidend zu erleichtern. Das ist ausgesprochen gekonnt gemacht, allerdings wie nicht anders zu erwarten ebenso wie der Geigensolopart elend schwer zu spielen.
Das Layout der Notenausgabe ist übersichtlich und luxuriös gestaltet, gewohnt hoher Schott-Standard. Eine höchst willkommene Neuerscheinung!
Herwig Zack