Erben, Dietrich
Komponistenporträts
Von der Renaissance bis zur Gegenwart
2005 erregte ein Gemälde die Öffentlichkeit, welches Wolfgang Amadeus Mozart endlich einmal verbindlich zu porträtieren schien. Doch sollte dieser dickliche Mann Spiegelbild sein für Musik, der man so gerne Göttliches nachzusagen geneigt ist? Die falsche Identität wurde inzwischen aufgedeckt, die Gemüter sind beruhigt. Die Frage, wie verlässlich historische Porträts hinsichtlich realistischer Genauigkeit sein können, sein wollen, stellte sich nach dieser Irritation freilich neu. Heinrich Erben hat darüber ein faszinierendes Buch vorgelegt, dessen üppiges Format dem umfangreichen Thema fast symbolhaft entspricht. Alleine angesichts der imponierenden Materialfülle würde man gerne mehr über den Autor erfahren, der in einem knappen Klappentext lediglich als Professor für Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum ausgewiesen ist.
Für seine Mozart-Betrachtung wählt Erben das bekannte Ölgemälde Joseph Langes, welches in den letzten Lebensjahren des Komponisten entstand. Dass es fragmentarisch blieb, brachte man gerne in Verbindung mit dem frühen Tod Mozarts. Doch auch jenseits solcher Romantizismen bleibt die Frage: Wie verhält es sich mit Bildnis und Wahrheit, um es frei nach Goethe zu formulieren? Selbst die in der Stimmung etwas melancholische Daguerreotypie Robert Schumanns aus dem Jahr 1850 will, bei unzweifelhafter Glaubwürdigkeit der überlieferten Gesichtszüge, angemessen gedeutet sein, sind Haltung des Abgelichteten und dekoratives Umfeld doch typisch gestellt. Und wenn ein Franz Liszt für mindestens 260 Fotos im Atelier posierte, darf sogar von Selbstinszenierung gesprochen werden, wofür auf dem ausgewählten Bild auch seine andächtige Körperhaltung und sein leicht verklärender Blick Zeugnis ablegen. Beim Mozart-Gemälde bleibt im Übrigen offen, wie sich die hier festgehaltene geistige Konzentration mit der vom Komponisten in der Öffentlichkeit gerne zur Schau getragenen Exaltiertheit (Dissimulation) reibungslos in Deckung bringen lässt. Hingegen bestätigt Modest Tschaikowsky, dass das Gemälde, welches Nikolai Kusnetzow 1893 von seinem Bruder Peter anfertigte, ungeachtet (oder auch gerade wegen) kleiner Fehler den Odem des Lebens durch den Instinkt der Inspiration einzufangen wusste.
Mit alledem scheint der Radius bei der Gattung des Porträts abgesteckt. Ob Amts- oder Freundschaftsbildnis, ob unscheinbare Federzeichnung (Girolamo Frescobaldi, Antonio Vivaldi), pompöses Gemälde (Karl Friedrich Abel), Allegorie (Anton Bruckner als Petrus im Kreise der Jesus-Jünger), idealisierende Büste (Johannes Brahms), Karikatur (Jacques Offenbach), surrealistische Übersteigerung (György Ligeti) oder abstrakte Skulptur (John Cage): die Möglichkeiten, einer Persönlichkeit bildnerisch habhaft zu werden, sind unendlich viele. Dass neben dem Faktischen entscheidend auch die Freiheit künstlerischer Gestaltung greift, versteht Dietrich Erben kenntnisreich und tiefschürfend darzulegen. Sein Buch drängt zu mehrfacher Lektüre.
Christoph Zimmermann