Interview: Antje Rößler
Komponieren ohne Ehefesseln
Barbara Beuys hat die Biografie der Komponistin Emilie Mayer recherchiert und aufgeschrieben
Emilie Mayer, 1812 im mecklenburgischen Friedland geboren, schlug eine erfolgreiche Laufbahn als Komponistin ein. Mal in Berlin, mal in Stettin lebend, schrieb sie auch Sinfonien, was dem Frauenbild ihrer Zeit vollkommen widersprach. Die Historikerin, Schriftstellerin und Journalistin Barbara Beuys hat die erste Biografie über diese hochbegabte und zielstrebige Künstlerin vorgelegt.
Frau Beuys, war Emilie Mayer wirklich „Europas größte Komponistin“?
Ein Buchtitel darf auch mal zuspitzen, aber im Fall von Emilie Mayer ist dieser Superlativ kaum übertrieben. Was die Quantität angeht, war sie mit Abstand die produktivste Komponistin des 19. Jahrhunderts: unter anderem mit acht Sinfonien, 15 Ouvertüren, zehn Streichquartetten. Ihr ungeheures Talent wurde von den Musikkritikern ihrer Zeit, wenn auch manchmal widerstrebend, vielfach bestätigt.
Mal abgesehen von der Begabung – was hat so einen Ausnahme-Werdegang ermöglicht?
Eine Grundlage dafür findet sich in der Kindheit. Emilie Mayer wuchs in Friedland auf. Als Fünfjährige begann sie mit dem Klavierunterricht, was damals in bürgerlichen Schichten ganz normal war. Ihr Lehrer, der örtliche Organist und Kantor, war eine ungewöhnliche Persönlichkeit, denn als Emilie ihm eigene Tänze, Rondos und Variationen vorspielte, ermutigte er sie: „Wenn du so weitermachst, wird was aus dir.“ Das war damals ein absoluter Tabubruch, galt doch die Mutterschaft als Lebensziel jeder Frau. Die Talente von Mädchen wurden im Keim erstickt.
Wie hat der Vater darauf reagiert?
In der Familie muss eine aufgeschlossene Atmosphäre geherrscht haben, da der Vater nicht einschritt. Schließlich beschloss Emilie Mayer, die Musik zu ihrem Lebensinhalt zu machen. Als der Vater starb, war die 29-Jährige noch unverheiratet, was sehr ungewöhnlich war. Kurz darauf packte sie ihre Koffer und zog nach Stettin, wo sie bei dem Komponisten Carl Loewe vorsprach, der ihr Lehrer wurde. Loewe hat ihre ersten beiden Sinfonien in Stettin aufführen lassen. Das gab ihr den Mut, ein paar Jahre später nach Berlin zu gehen und ihr erstes Konzert im Königlichen Schauspielhaus zu organisieren.
Wie hat es Emilie Mayer geschafft, sich im männlich dominierten Musikleben durchzusetzen?
In Frankreich konnte auch eine Schriftstellerin wie George Sand Erfolg haben, die in Männerkleidung und mit Zigarre auftrat. Emilie Mayer hat erkannt, dass sie im deutschen Kulturraum listig vorgehen muss: Sie trat bescheiden, freundlich, zurückhaltend auf. Das entsprach dem herrschenden Frauenbild und machte es den Männern leicht, sie zu fördern. Das war eindeutig eine Taktik. Hinter den Kulissen hat sie ihre Konzerte und alles, was damit zusammenhing, zielstrebig und selbstbewusst organisiert. Sie pflegte Kontakte mit Musikern, Orchestern und Verlagen. Ab 1841 erleichterte ihr übrigens die neue Zugverbindung zwischen Berlin und Stettin das Reisen. Mit der Postkutsche dauerte das 16 Stunden, und Frauen brauchten hier immer eine männliche Begleitung. Mit dem Zug fuhr man diese Strecke in viereinhalb Stunden.
Könnten Sie ein Beispiel für ihr zielstrebiges Vorgehen nennen?
Als Stettinerin, also aus der „Provinz“ kommend, trat sie 1841 erstmals mit ihren Kompositionen im Berliner Königlichen Schauspielhaus auf. Dabei brauchte sie dazu die Zustimmung des Königs. Das ist doch eine Sensation!
Wie ist ihr das gelungen?
Den Kennern war sie bereits ein Begriff, weil es zuvor zwei Besprechungen ihrer Werke in der Neuen Berliner Musikzeitung gab. Ludwig Rellstab – die Autorität unter den Musikkritikern, zugleich aber sehr konservativ – hat ihr erstes Berliner Konzert mit einem Paukenschlag angekündigt: Dass hier eine Frau ausschließlich eigene Werke aufführe, sei ein „Unicum in der musikalischen Weltgeschichte“. Das Konzert war so erfolgreich, dass Emilie Mayer fünf Jahre lang jedes Frühjahr eine Veranstaltung im Schauspielhaus organisierte, wofür sie immer wieder neue Werke schrieb. Das wäre auch für einen Mann ein unglaublicher Erfolg.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2022.