“Komm, wir fahren nach Amerika!”

Antonín Dvoráks Reise nach Amerika anhand seiner 9. Sinfonie

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Musikproduktion Dabringhaus und Grimm MDG 337 1670-2
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 76

Notwendig Ketzerisches vorweg! Unsere Kindergarten- und Grundschulkinder werden als „Generation Überförderung“ (sic!) in der Geschichte auftauchen. Mathematik-Spielchen mit zwei, Chinesisch und Geige mit drei Jahren. Der Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann hat dazu gerade ein Buch veröffentlicht, das schon im Titel fordert: Lasst eure Kinder in Ruhe! Die beängstigende Missachtung von Kinderseelen ist marktkonform.
Das sind auch die zahllosen Education-Programme. Jedes Orchester, das auf sich hält hat, hat eines. Wenn es die Randgruppenarbeit betrifft, ist das großartig, wenn es der Klientelpolitik dient, sollte man kritisch sein. Auch inhaltlich, wie im Fall der CD, die das Beethoven Orchester Bonn im Rahmen seines Education-Programms „Bobbys Klassik“ eingespielt hat. Die Reihe von Kinder, Jugend- und Familienkonzerten erhielt für seine „gelungene Nachwuchsförderung“ 2009 einen Echo-Klassik, ein Preis für zahlenmäßig messbaren Erfolg. Laut Pressetext zu dieser CD soll sie „kindgerecht“ beschreiben, wie es zu Dvoráks Amerika-Reise kam, „was ihm unterwegs widerfahren ist und wie die Einflüsse Amerikas sich auf die Musik auswirkten“. Und es geht um einen „unterhaltsamen und spannungsreichen Mix aus Biografie, Märchen und Musik“. So weit, so gut. Honickels Text erzählt uns dann von einem „Land im Osten, weit hinter den großen Bergen“, und von einem „alten Mann“ der „Zeit seines Lebens die schönsten Lieder für die Menschen aufschrieb. […] Aber eines Tages wachte der alte Mann morgens auf und ihm fielen keine Melodien mehr ein.“ Eine geheimnisvolle Frau erzählt ihm von Amerika, wo es „viel unbekannte Lieder“ zu hören gibt. Auf der Schiffsfahrt „vom Ufer des Meeres“ aus pfeift ihm ein kleiner Junge schon mal eine vor, „Antonín“ schreibt sie denn auch gleich auf. In Amerika angekommen, wohnt er bei Holzfällern… Und dergleichen hanebüchenes Zeug mehr bis hin zur vertonten Büffelherde. Musik und Text passen natürlich auf das Perfekteste zusammen.
Die Rezipienten dieser an Verdummung grenzenden Erfindungen – nicht nur Kinder, sondern auch dazugehörige Eltern – werden zum großen Teil in solchem Unsinn zu Dvorák und seiner Sinfonie gefangen sein, nie Richtiges erfahren. Werden Kinder so ernst genommen? Fast zu verschmerzen ist da die Tatsache, dass das Werk nicht im Zusammenhang zu hören ist, da die Texte unterbrechend eingeschoben sind, manchmal auch melodramatisch verbunden. Der Sinfonie voran geht eine ausführliche, traditionelle Instrumentenvorstellung.
Das Booklet beinhaltet Biografien, Informationen zu Orchester und „Bobbys Klassik“ sowie die Erzähltexte. Ein „Begleitheft zur CD“ zeigt Partiturauschnitte und Bilder der Orchesterinstrumente. Ein Rätsel, quasi als „Lernkontrolle“, verlangt den routinierten Rätselkenner.
Bleibt nachzutragen, dass das Beethoven Orchester Bonn unter Thomas Honickel die „unterbrochene“ Sinfonie selbstverständlich hochkompetent musiziert.
Günter Matysiak