Brigitte Fassbaender

„Komm’ aus dem Staunen nicht heraus“

Memoiren

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C.H. Beck
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 62

Wohl selten ist ein Memoirentitel so treffend wie dieser. Brigitte Fassbaender, auch mit 80 Jahren noch inszenierungsaktiv und mit Regieplänen für die nächsten zwei Jahre, scheint immer noch voller Verwunderung über die eigene Karriere. Nicht, dass die so einfach gewesen wäre. Unterricht durch Vater Willi Domgraf-Fassbaender (schon das eine Schlagzeile damals), Einstieg an der Münchner Staatsoper – höher hinaus ging es gleich zu Anfang gar nicht. Aber es gab auch Krisen mit dem Vater, Überwindung, Widerstände, aber immer auch Einsatz und volle Kraft, die Fassbaender bis heute auch von Kollegen fordert, in der Oper wie beim Lied. Starallüren gefallen ihr gar nicht.
Brigitte Fassbaender hat ein sehr menschliches, lesenswertes, auch diskretes Buch geschrieben (ohne Hilfe eines Ghostwriters, wie sie betont), aber mit ihrer Meinung hält sie nicht hinter dem Berg. Nicht über Inszenierungen, nicht über Kollegen. Sie ist eine sehr gut Beobachtende und Beschreibende, respektvoll, aber eindeutig. Und so werden aus den bekannten Männernamen an Orchester- und Regiepulten lesenswert-nachvollziehbare Miniporträts.
Wenn sie schreibt, keine Anekdoten bieten zu können, liegt sie in einem Fall falsch, und der heißt Harry Kupfer. „Er erklärte kurz und klar den Szenenverlauf und die Befindlichkeit der handelnden Personen, dann warf er uns sich zum Fraß vor“, beschreibt sie den „Probenberserker“ anlässlich einer Elektra in Wien. Über Placido Domingo schreibt sie hier nur in Andeutungen („abblitzen lassen“ wäre wohl kein Wort für sie), als die Affäre hochkochte, erklärte sie medienwirksam: „Die Schlimmsten waren die Dirigenten.“
Doch das ist hier nicht ihr Thema, eher schon der „Menschenreichtum“, den sie erlebte (auch das wäre ein schöner Titel gewesen), aber auch, dass Freundschaften die Probenfrist selten überdauerten. Sehr charakteristisch auch ihre Einsicht, zwar Gesangslehrerin, aber keine Beamtin sein zu wollen und sich beim Betreten ihres Dienstzimmers zu fragen, welche SS-Charge hier gehaust haben mochte. Sehr
lesenswert ihre Gedanken zu Franz Schubert und zum „Theatergott“ Shakespeare ihrer Innsbrucker Intendanzjahre. Da hatte sie den freiwilligen Abschied von der Bühne schon bewältigt, nicht schmerz-, aber selbstmitleidfrei und ohne den Mimenschmerz „vielleicht will mich ja keiner mehr hören“.
Und dann kommt noch ein Schatz, denn Brigitte Fassbaender lässt einen in ihr Theatertagebuch blicken, erläutert ihren Grundsatz zwischen notwendigen Eingriffen und Unantastbarem. Man lernt ihre Denk-, Vorbereitungs- und Arbeitsweise kennen, aber auch Hürden und Fallstricke des Theaterbetriebs. Dazu kommen, was nicht jede Autobiografie zu bieten hat, sehr ausdrucksstarke Bühnenfotos. So ersteht vom Kinder-Sonntagsfrühstück mit Butterzucker über ein Intermezzo mit Schlittschuhen auf den Schultern und einem deutlichen „Was noch gesagt werden muss“ ein langer musikalischer Lebensreigen.
Ute Grundmann