Wolfgang Schurig

Kokoi

für Oboe und 8 Instrumente, Partitur

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Edition Gravis
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 65

Der Österreicher Wolfgang Schurig, Jahrgang 1967, ist mit seinen Kompositionen auf den bedeutenden Veranstaltungen der zeitgenössischen Musik-Szene vertreten. Er selbst hat in seiner Heimatstadt von 1995-2006 die „Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik“ geleitet. Neben seiner Komponistenlaufbahn ist Schurig auch als konzertierender Blockflötist tätig, was ihm bei der Komposition für ein Soloinstrument einen besonderen Zugang zur Rolle des Solisten verschafft.
Seinem umfangreichen kammermusikalischen Werkkatalog hat er 2020 das im Auftrag von Wien Modern und dem österreichischen Ensemble Phace mit Unterstützung des SKE-Fonds entstandene siebzehnminütige Werk Kokoi für Oboe und 8 Instrumente hinzugefügt. Der Titel bezieht sich auf den hochgiftigen, gelben Pfeilgiftfrosch im kolumbianischen Regenwald, der aber in dem Stück keineswegs naturalistisch nachgezeichnet wird, vielmehr dient dessen vitale akustische Lebenswelt als Ausgangsidee für das zu schaffende Hörerlebnis. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Oboe, die von einem überwiegend bassgrundierten Ensemble umgeben wird: den tiefen Holzbläsern mit Bassflöte, Bassklarinette und Kontrabassklarinette, einem Streichtrio aus Viola, Violoncello und Kontrabass sowie Klavier und Schlagzeug mit resonierenden Metallklängen von Vibrafon, Almglocken, 7 Gongs und Tam-Tam.
Ein erster Blick in die Partitur zeigt ein höchstes Maß an klanglicher und rhythmischer Differenzierung. Die gehaltenen Einsatztöne sind dynamisch unterschiedlich von pp bis sffz gewichtet und bilden mit gegenläufigen Crescendi bzw. Decrescendi eine leicht schwebende Klangfläche, aus der sich die Oboe mit einem minimalen Klangfarbenmotiv in Sechzehnteln mit mehrfach unterteilten Triolen als Solo­instrument zu erkennen gibt.
Dann entfaltet sich eine mit Vierteltönen, perkussiven und geräuschhaften Elementen angereicherte Klangwelt mit weit ausgreifendem Melodieverlauf und phasenweise partnerschaftlichem Spiel von Viola und Violoncello bzw. der Klarinetten mit eigenständig geführter klangfarblich nuancenreicher Oboenstimme. Neues Material in Form von schnell aufsteigenden Triolenketten mit vielfältiger Variantenbildung führt zur Interaktion des Ensembles und einer Verdichtung, während die Oboe sich rhythmisch und melodisch davon weitgehend abhebt. Nach einer längeren Ruhepause der Oboe, die insgesamt auch zu einer Beruhigung des musikalischen Geschehens durch zarte Akkordbildungen und einheitlichere Aktionen des Ensembles führt, wächst der Geräuschanteil in Form von Mehrklängen im Solopart und im Ensemble durch die Verwendung besonderer Spieltechniken. Reminiszenzen werden in einer sich auflösenden Form erkennbar, bevor die Musik am Ende auf die Flageoletttöne des Anfangs zurückgreift.
Kokoi ist eine durchdacht geformte, kammermusikalisch gearbeitete, solistisch sehr anspruchsvolle Komposition mit klarer Gewichtung von dominantem Solo und dieses in seiner klanglichen Vielfalt respektierendem Tutti – ein Spiegelbild von Lebenswirklichkeiten?
Heribert Haase