Rubbert, Rainer
Kleist Oper
Partitur/Klavierauszug/Libretto
Nur selten wird ein neues Werk so gefeiert wie die am 22. März 2008 im Brandenburger Theater die Oper “Kleist” des Berliner Komponisten Rainer Rubbert (siehe Bericht in das Orchester 6/08 und CD-Besprechung in Ausgabe 5/09). Es ist das erste Bühnenwerk, das sich mit dem Leben des Dichters beschäftigt. Sein früher Freitod bietet natürlich jede Menge Stoff für ein dramatisches Werk. Heinrich von Kleist war eine schillernde Gestalt, die sich an der Umwelt rieb und schließlich an ihr zu Grunde ging. Für die Librettistin Tanja Langer eine Steilvorlage. In vier Akten entwickelt sie ein Psychogramm des Dichters, immer sprachgewaltig, emotional und lyrisch knapp. Kleists Homosexualität und seine Kriegserlebnisse, die großbürgerliche Salonkultur und Kleists liederlichen Lebensumstände all das wird im Text erzählt. Persönliche Fixpunkte sind sein Jugendfreund Ernst von Pfuel und die Freundin Henriette Vogel, mit der er sich 1811 am kleinen Wannsee bei Berlin erschoss. Doppelbesetzungen der Nebenfiguren durchbrechen zudem geschickt die Ebenen von erlebter Realität und gedichteter Fiktion.
Eine musikalische Umsetzung fordert diese Sprache geradezu heraus. Rubbert entfaltet in seiner zweieinhalbstündigen Oper um den als Charakterbariton angelegten Helden eine Bandbreite an kompositorischen Techniken. Nie vergisst er das Wesentliche der Gattung Oper, ihr glühendes Melos und ihre Schlagkräftigkeit. Zwischen diesen Elementen entfaltet er jedoch viele zarte Momente, instrumentiert ungewöhnlich und setzt auch Geräusche, Schlagzeug sowie furiose Elektronik klug ein. Grundlage bildet bei ihm das spätromantische Orchester. Der Holzbläsersatz ist mit drei Flöten, zwei Oboen, Englisch Horn, 2. Klarinetten, Bassklarinette, zwei Fagotte und Kontrafagott besetzt. Vier Hörner, je drei Trompeten und Posaunen, Pauken und zwei Schlagzeuger, Harfe und Streicher kommen hinzu. Besonderheiten bieten nur das Klavier (inside-piano) und die zugespielte Elektronik. Nie wirkt diese Musiksprache aufdringlich oder gesucht, sondern folgt genau dem Sujet. Formen die Streicher melancholische Oasen, sogar warme Melodiebögen, treten Percussion und Bläser mit erregenden Kommentaren dazwischen. Symbolisch baut sich die gesamte Partitur über einem Kernmotiv aus, ein aus Septimen geschichteten Grundakkord, der horizontal und vertikal entwickelt wird. Rubberts jederzeit aufregende und anregende Musik wurde bereits nach der Premiere als Ereignis dieses Abends bezeichnet (Tagesspiegel vom 25. März 2008).
Zur Uraufführung publizierte das Kleist-Archiv Sembdner der Stadt Heilbronn die vorliegende Partitur, den Klavierauszug und das Libretto. Alle Bände zusammen umfassen rund 1100 Druckseiten. Jeder Band bietet im Anhang eine Synopsis der Handlung, die ebenso dichterisch geschrieben ist wie das gesamte Textbuch. Zeichnen sich Libretto und Klavierauszug durch eine hervorragende Lesbarkeit aus, ist Rubberts oft um die 30 Notensysteme umfassende Partitur für das gewählte DIN-A4-Format (hochkant) zu klein. Da muss der Leser mitunter sehr nah mit den Augen an die Noten heran oder eine Lupe zur Hand nehmen, um jede Vortrags- oder Artikulationsbezeichnung genau zu lesen.
Matthias Corvin