Hindemith, Paul
Klaviermusik mit Orchester
(Klavier: linke Hand) op. 29, Klavierparticell und Solostimme
Im Dezember 1922 erhielt Paul Hindemith einen Kompositionsauftrag des Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte, für ein Werk mit Klavier für die linke Hand und Orchester, welches er sogleich zu komponieren begann, obwohl er gerade an dem Liederzyklus Das Marienleben arbeitete. Im folgenden Jahr beendete Hindemith die Komposition und war damit der erste in einer Reihe namhafter Komponisten, die solche Solokonzerte für Wittgenstein schrieben: 1925 folgte Strauss, 1931 Ravel und Prokofjew, 1940 Britten. Wittgenstein spielte das Werk Hindemiths nie öffentlich, behielt aber die Noten als sein Eigentum. So kam es erst im Jahr 2002, als der Nachlass Wittgensteins zugänglich wurde, wieder an die Öffentlichkeit und erlebte am 9. Dezember 2004 in der Berliner Philharmonie, 81 Jahre nach Fertigstellung, seine Uraufführung mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle mit Leon Fleisher als Solist.
Nun liegt, durch die dankenswerten Recherchen des Schott-Verlags, auch die Notenausgabe des viersätzigen, etwa 18-minütigen Werks vor. Die Orchesterbesetzung geht kaum über die eines klassischen Orchesters hinaus, lediglich das Schlagzeug ist umfangreicher besetzt (vier Spieler). Der Klavierpart ist für die linke Hand gut spielbar. Er verzichtet auf große Sprünge und benutzt selten den hohen Diskant. Oft ist er einstimmig gehalten, lediglich durch Oktaven, machmal auch Septimen oder Quarten verdoppelt, was der linearen Kompositionsweise entspricht, die Hindemith bevorzugt. Manche Themenbildung überrascht durch Einfachheit, z.B. im volksliedhaften Gestus des bewegten zweiten Satzes, andere Melodielinien sind chromatisch verschlungen und treten in zahlreichen Sequenzierungen und Spiegelungen auf. Das Trio, Basso ostinato erinnert an einige Melodiewendungen des Marienlebens und ist in seiner dreistimmigen Polyfonie zwischen dem ostinat geführten Bass, dem Englischhorn und dem Klavier ein besonders prägnantes Beispiel für die Kompositionsweise des frühen Hindemith, in der er alte Kompositionsformen wie z.B. die Passacaglia mit ihren ostinaten Wiederholungen und Variationen zur Bereicherung der Polyfonie einsetzt. Dieser dritte Satz ist in der Mitte durch eine zweistimmig gehaltene lyrische Solokadenz des Klaviers unterbrochen, was ihm ein besonderes Gewicht innerhalb des Werks verleiht. Das Finale ist mit seinen bewegten Triolen, Punktierungen und Quartengängen ein typischer Hindemith, wie wir ihn auch aus späteren Werken kennen.
Der Klavierauszug des Orchesterparts ist wesentlich schwieriger zu spielen. Er enthält auch die kurzen Passagen im zweiten und vierten Satz, die das Soloklavier mit dem Schlagzeug alleine hat, und ist eine gute Hilfe zum Einstudieren des Werks. Giselher Schubert schrieb ein instruktives Vorwort. Klavierparticell und Solostimme sind jeweils doppelt in dieser gut edierten und übersichtlich gesetzten Ausgabe enthalten.
Christoph J. Keller