Hermann Goetz/ Johannes Brahms

Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur/ Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll

Andrea Kauten (Klavier), Savaria Symphony Orchestra, Ltg. Ádám Medvecki

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica
erschienen in: das Orchester 03/2019 , Seite 67

Hermann Goetz zählt zu den Komponisten, die sich als Zeitgenossen von weitaus bedeutenderen Tonschöpfern zu behaupten wussten, mit den Jahren und Jahrzehnten allerdings mehr und mehr in Vergessenheit geraten sind. Goetz, 1840 in Königsberg geboren, wird heute bestenfalls mit seiner Oper Der Widerspenstigen Zähmung in Verbindung gebracht. Doch wer kennt noch seine beiden Klavierkonzerte? Das erste ist 1862 als Examensarbeit in Berlin entstanden, das zweite, gewichtigere, wurde 1867 erfolgreich in Basel uraufgeführt.
Goetz mag ein Kleinmeister gewesen sein mit Blick auf Größen wie Schumann, Liszt oder Brahms. Doch gerade Brahms schätzte den um sieben Jahre jüngeren Kollegen, setzte sich für ihn ein, vermittelte et­wa den Kontakt zum Verleger Simrock. Und Goetz hatte einen enthusiastischen Fürsprecher: George Bernhard Shaw, als Kritiker gefürchtet wegen seiner teils giftigen Urteile. Shaw stellte seinen Schützling über alle bedeutenden Romantiker: Goetz besitze Schuberts Charme ohne dessen Geistlosigkeit, ätzte der Rezensent oder: „Gegenüber Goetz ist Brahms ein Tölpel.“
Aus diesem historischen Hintergrund speist sich der Reiz der neuen CD, die die ungarisch-schweizerische Pianistin Andrea Kauten eingespielt hat. Konfrontiert sie doch Goetz’ zweites Klavierkonzert mit dem ersten von Brahms. Beide Komponisten schrieben diese Werke noch in jungen Jahren. Gleichwohl unterscheiden sich die Stücke fundamental. Brahms schuf, Robert Schumanns geistigen Verfall vor Augen, in den 1850er Jahren ei­ne so explosive wie traurige Bekenntnismusik, revolutionär in ihrer symphonischen Anlage, für viele Zeitgenossen entsprechend unverständlich. Goetz hingegen pendelt zwischen muskulösem und feinsinnig-romantischem Ton, geht ein wenig zu Herzen oder fordert das Virtuose.
Die Diskrepanz zwischen beiden Konzerten wird in der Interpretation Andrea Kautens noch unterstrichen. Zusammen mit dem ungarischen Savaria Symphony Orchestra unter der Leitung Ádám Medveckis formt sie das Brahms-Konzert zur urgewaltigen Apokalypse. Das Klangbild ist dabei außergewöhnlich schroff, bisweilen unangenehm übersteuert. Die beiden Ecksätze dominieren alles, das Adagio bekommt kaum Luft zum Atmen. Dieser langsame Satz wirkt allzu gemächlich, es fehlt an gestalterischer Intensität.
Kauten spielt das Brahms-Konzert technisch versiert, allerdings stark kontrolliert, auf Kosten des organischen Flusses. Oft stanzt sie die wilden Passagen des Werks in den Flügel, der entsprechend mechanisch und überlaut klingt. So ertrinkt die Musik im vordergründigen Effekt. Hermann Goetz’ Konzert liegt der Solistin hörbar besser in den Fingern, sie spielt energisch, aber ohne Kraftmeierei, kehrt das Narrative des 2. Satzes fein heraus, rückt das Werk insgesamt in Mendelssohns Gefilde. Leider ist der Orchesterklang oft vernebelt.
Im kompositorischen Vergleich, Shaw möge es verzeihen, gewinnt Brahms. Besser gespielt aber ist das Goetz-Konzert.
Martin Schrahn

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