Kurt Leimer
3. Klavierkonzert (linke Hand) Richard Strauss/ Panathenäenzug op. 74
Gilles Vonsattel (Klavier), Berner Symphonieorchester, Ltg. Mario Venzago
Der in Wien geborene Pianist Paul Wittgenstein (1887-1961) hat durch unglückliche, ja furchtbare Umstände den Anstoß zu einem ganz eigenen Genre von Klavierkompositionen gegeben: Nach hoffnungsvollem Beginn seiner Karriere verlor er an der Ostfront im Ersten Weltkrieg den rechten Arm, wollte sich danach aber nicht aus dem Konzertleben zurückziehen. So begann er, Etüden und bestehende Werke für die Ausführung allein durch die linke Hand zu bearbeiten und gab neue Stücke bei zeitgenössischen Komponisten in Auftrag. Vor allem das Konzert D-Dur von Maurice Ravel erlangte Berühmtheit, doch findet man mühelos über 30 Kompositionen aus dem frühen und mittleren 20. Jahrhundert, die für die linke Hand geschrieben sind.
Dazu zählen auch die zwei Werke von Richard Strauss und Kurt Leimer auf der vorliegenden CD. Strauss wurde zu seinem kaum gespielten Variationszyklus Panathenäenzug op. 74 ebenfalls durch die Bekanntschaft mit Paul Wittgenstein angeregt, der das Werk 1928 mit den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Bruno Walter uraufführte, danach aber nicht in sein Repertoire aufnahm. Später stellte sich der junge Pianist Kurt Leimer (1920-1974) dem Komponisten vor und spielte das Werk offenbar so überzeugend, dass Strauss es ihm zur alleinigen Aufführung überließ, inklusive der Erlaubnis, einige Bearbeitungen vorzunehmen.
Über Richard Strauss’ wenige Klavierwerke ist viel geschrieben und auch gespottet worden. Verteufelt schwer seien sie und blieben zugleich kompositorisch hinter der Qualität vieler anderer Werke zurück. Während man die frühe Burleske von 1890 tatsächlich etwas jugendlich überdreht finden kann, sind abwertende Urteile beim Panathenäenzug unangebracht. Die fantasievollen Variationen über eine achttaktige Basslinie sind in ihrer Form strenger als die meisten anderen Kompositionen von Strauss, doch vor allem die blühende Naturmalerei in der Werkmitte, die an die Alpensinfonie erinnert, ist einfach herrlich.
Trotz der geringen Popularität des Panathenäenzugs gibt es davon mehrere Aufnahmen, darunter auch die sehr ordentliche mit Anna Gourari und den Bamberger Symphonikern aus dem Jahr 1999. Die aktuelle Einspielung mit Gilles Vonsattel und dem Berner Symphonieorchester unter Leitung von Mario Venzago ist ihr ebenbürtig, wobei der Klavierpart besser präsent ist.
Die Klangqualität ist ein deutliches Plus auch bei der Einspielung des zweiten Werks dieser CD, des 3. Klavierkonzertes von Kurt Leimer, das mit der Originaleinspielung des Komponisten mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan aus dem Jahr 1968 konkurrieren muss. Es ist ein formal schwer fassbares Werk, stilistisch zwischen Impressionismus, Spätro-mantik, Jazz und manch weiteren Einflüssen changierend.
Offenbar sahen auch die Erben Kurt Leimers und die Kurt Leimer Stiftung den Bedarf einer Neueinspielung und unterstützten die Aufnahme. Diese schließt zwar keine Repertoirelücke, bereichert aber die Diskografie.
Johannes Killyen