Georg Wübbolt
Klaus Tennstedt
Besessen von Musik
Man mag es – angesichts der Bedeutung des besprochenen Gegenstands – kaum glauben, aber tatsächlich ist dieses Buch des Regisseurs Georg Wübbolt die erste Biografie über den Dirigenten Klaus Tennstedt (1926–1998). Sicher, Tennstedt war auf manchen seiner Posten nicht unumstritten, schied im Unfrieden etwa aus Schwerin oder Hamburg und die wichtigsten Karriereschritte des in Merseburg geborenen Dirigenten vollzogen sich im Ausland: Vor allem in den angelsächsischen Ländern wurde er ab den 1970er Jahren gefeiert, seine wichtigsten Konzerte und Aufnahmen dürften die mit dem London Philharmonic Orchestra gewesen sein, dessen Chefdirigent er 1983 bis 1987 war, dem er danach als Ehrendirigent vorstand. Dennoch blieb er seinem Heimatland immer verbunden, kehrte auch für seine letzten Lebensjahre nach Deutschland zurück. Das macht dieses Biografien-Desiderat umso erstaunlicher; vor allem, da selbst im Internet erhältliche Informationen als bestenfalls lückenhaft bezeichnet werden müssen.
Georg Wübbolt hat diesem Mangel nun Rechnung getragen, und das sehr umfassend. Sein knapp 300 Seiten starkes, im Selbstverlag erschienenes Buch beleuchtet Tennstedt als genialischen Musiker, tiefgründigen Interpreten und nicht zuletzt als schillernde Persönlichkeit.
Das beginnt mit den Eltern und ihren Einflüssen, dem Druck des Vaters beim Klavier- und Geigenspiel. Weiter geht es über Tennstedts erste Anstellungen als Geiger nach dem Krieg, den Wechsel von der Violine ans Dirigentenpult, zu ersten Posten in Chemnitz, Radebeul, Schwerin und der Flucht aus der DDR, Stellen in Kiel, Auftritte in Kanada und den USA, Plattenverträge und endlich die Stelle bei seinem London Philharmonic Orchestra, mit dem die wohl herausragendsten Aufnahmen und Konzerte Tennstedts stattfanden.
All diese Stationen beleuchtet der Autor nicht nur mit Daten, sondern vor allem mit Aussagen von Zeitzeugen. Dafür hat er zahlreiche Gespräche mit ehemaligen Mitarbeiter:innen des Dirigenten geführt, aber vor allem auch mit dessen erster Frau und seinen Kindern. Und gerade durch diese menschlichen Hintergründe erklärt sich so manche auf den ersten Blick schwer begreifliche Entscheidung des Dirigenten, wird er dem Leser nicht nur als Musiker, sondern auch und gerade als Mensch nahegebracht. Dazu kommen zahlreiche Dokumente aus Tennstedts Leben, Fotos, Tabellen, aber auch Informationen zu unbekannten Werken.
Wer sich für Klaus Tennstedt interessiert und mehr von ihm erfahren möchte, als ein CD-Booklet hergibt, der ist mit dieser Biografie also perfekt bedient!
Andrea Braun