Zintl, Thomas
Klassik und Kalter Krieg
Musiker in der DDR. Ein Film von Thomas Zintl
Auf dem Gebiet der Klassik war die DDR ihrem westdeutschen Pendant ebenbürtig. Wie es dem Arbeiter- und Bauernstaat gelang, musikalisches Weltniveau zu erreichen, beleuchtet Thomas Zintls DVD-Dokumentation Klassik und Kalter Krieg. Der 50-minütige Film beginnt mit den ersten Nachkriegswochen im zerbombten Berlin. Nikolai Bersarin, der sowjetische Stadtkommandant, räumt der Kultur beim Wiederaufbau einen hohen Stellenwert ein. Erstaunlich, dass in dieser Trümmerwüste die Theater sofort da waren, erinnert sich der Komponist Siegfried Matthus, der im Film als Zeitzeuge auftritt neben Künstlern wie Peter Schreier, Kurt Masur oder Jochen Kowalski; zudem kommen einige damalige Politiker zu Wort. Ost und West wetteiferten im Wiederaufbau von Opernhäusern und Konzertsälen. Die Vorstellungen der zerstörten Lindenoper fanden im Admiralspalast statt. Wenige hundert Meter weiter stellte Walter Felsenstein an der Komischen Oper die Weichen für ein modernes Regietheater.
Die Situation änderte sich 1949 mit der Staatsgründung der DDR.
Ministerpräsident Otto Grotewohl gab die Linie vor: Die Idee der Kunst muss der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen. Damit einher ging andererseits die Maxime, stark subventionierte Opern- und Konzertkarten für jedermann anzubieten. Zintls differenzierter Film entdeckt sogar positive Folgen des Mauerbaus: Die Schließung der Grenzen verhalf etlichen Künstlern zum Karrieresprung, deren Kollegen im Sommer 1961 nicht von ihren Tourneen oder aus ihrer Westberliner Heimat zurückkehrten. Also kamen neue Kräfte aus Dresden, Weimar oder Leipzig zum Zuge. So erzählt Peter Schreier, dass der Mauerbau ihm ermöglichte, an die Berliner Staatsoper zu wechseln. Auch die Schallplattenindustrie profitierte von der Abgrenzung. Das DDR-Klassiklabel Eterna holte Devisen ins Land, indem es mit westdeutschen Labels nach der Formel kooperierte: westliche Solisten und Dirigenten plus (preiswerte) ostdeutsche Orchester und Chöre.
Künstler mit Talent und gefestigter Gesinnung durften im westlichen Ausland auftreten. Die Entscheidung darüber wurde von der Künstleragentur der DDR getroffen, die dem Kulturministerium angegliedert war. Der Künstler erhielt nur einen kleinen Teil seines Honorars in Westgeld; den Rest strich der Staat ein.
Zintls Film, der sich moralischer Wertungen enthält, beleuchtet eine vier Jahrzehnte andauernde Zerreißprobe: Die Klassik soll Glanz nach außen verbreiten und wird zugleich innen, mit großem Aufwand an Stasi-Personal, engmaschig kontrolliert. Den hohen Stellenwert der Klassik behält die DDR bis zum Ende bei: Noch in den 1980er Jahren leistet sich der längst bankrotte Staat Prestigeprojekte wie das Neue Gewandhaus und den Wiederaufbau der Semperoper. Bis heute hält die DDR den Rekord des Landes mit der größten Orchesterdichte der Welt.
Zintls spannendem und ausgewogenem Film könnte man allenfalls vorwerfen, zu kurz zu sein. Die Schnitte zwischen historischen Bild- und Tonaufnahmen sowie Zeitzeugenaussagen folgen Schlag auf Schlag. Das interessante Material würde durchaus einen 90-Minüter tragen.
Antje Rößler