Werke von Mozart, Widmann und Weber

Klarinettenkonzerte / Drei Schattentänze

Jörg Widmann (Klarinette), Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Ltg. Peter Ruzicka

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Orfeo C 897 151 A
erschienen in: das Orchester 07-08/2016 , Seite 72

„O Mozart! O Weber!“, jauchzt Jörg Widmann am Ende seines Beiheft-Kommentars – in Anspielung auf Hector Berlioz, der das Kapitel „Klarinette“ seiner Instrumentationslehre mit dem Begeisterungsruf „O Weber…!“ beschloss. Nach dem Abhören der hier dokumentierten Konzertereignisse ist man versucht, den dualen Jubel gebührend aufzurunden. Denn wahrlich: Was der Komponist Widmann über Mozarts einziges und Webers erstes Klarinettenkonzert zu sagen hat, vermag der Interpret Widmann mit seinem Instrument auf eine Weise einzulösen, die den Hörer alsbald vergessen lässt, was ihn bisher mit diesen Gipfeln der Gattung verband; die übrigens gerade mal im Abstand von zwanzig Jahren, 1791 und 1811, entstanden.
Ganz aus dem Geist des Theaters seien sie erfunden und „von einer beseelten Virtuosität durchdrungen“, notiert Widmann im Beiheft. Ihre immanente Dramatik – Webers Finalsatz erscheint in seiner „spielerisch überdrehten Rondo-Heiterkeit“ wie eine Fortschreibung des abschließenden Mozart-Rondos – ist für ihn die Triebkraft einer tiefsinnigen Virtuosität, der alles Gauklerische abgeht. Im langsamen Satz verwandelt sich sein Instrument in Webers innig liebende Agathe, ohne die latente Dämonie des Minore-Teils zu verleugnen. Schon in den gesanglichen Partien des Eingangs-Allegros wird die Nähe des ganzen Werks zur Opernszene spürbar. Ein wahrhaft unerhörter Moment ist die verwunschene Hörnerstelle im Adagio, die dem Orchester buchstäblich den Atem verschlägt, bevor es zur Reprise ansetzt.
Mag die Eleganz und Noblesse Webers der „philosophischen Gelassenheit und Tiefe des Mozart’schen Vorbilds“ auch nicht gänzlich gleichkommen – das geheimnisvolle Wesen der Klarinette nebst ihren „erogenen Zonen“ habe der Romantiker wie kein anderer begriffen, schreibt Widmann. Und beglaubigt es sogleich mit seinem Zauberrohr.
Dass ihm die Schattenzonen, die „verrufenen Stellen“ des Mozart-Konzerts (Dissonanzen, Moll-Trugschlüsse, Fugen-Anläufe) besonders nahe gehen, versteht sich für einen Komponisten aus der Schule Wolfgang Rihms fast von selbst. Als Interpret profitiert er zweifellos davon, dass er mit den Ohren eines Tondichters hört. So erinnern ihn die Terzen-Seufzer im Kopfthema an die Klarinettenterzen aus Cherubinos Kanzone „Voi, che sapete, che cosa è amor“ im Figaro (wie aus einem der Edition beigehefteten Gespräch mit Lennart Schneck hervorgeht). Da Widmann diese Doppelperspektive mit Peter Ruzicka teilt, der ihn als Dirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin gleichsam auf Federn bettet, wird ihr Zusammenspiel jedes Mal zum Glücksmoment.
Dazwischen drei Solo-Schattentänze von und mit Jörg Widmann: vertracktes Lust-Spiel mit Mikrotönen, Mehr- und Meerklängen, übergeblasen und untergetaucht. Wer hätte gedacht, was die Klarinette in ihren Seelenkammern noch alles so verbirgt – Geistervögel, Seepolypen mit wabernden Fangarmen, Voodoozauber.
O Mozart! O Weber! O Widmann!
Lutz Lesle