Peter Niedermüller (Hg.)
Klangkultur und musikalische Interpretation
Italienische Dirigenten im 20. Jahrhundert
Die rührige Musikabteilung des Deutschen historischen Instituts in Rom macht immer wieder durch ungewöhnliche Veröffentlichungen auf sich aufmerksam, so auch mit dem vorliegenden Band zu italienischen Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen neben anderen Victor de Sabata, Claudio Abbado und natürlich Arturo Toscanini. Bei den tief auslotenden und fundierten Beiträgen handelt es sich um Referate, die anlässlich einer Tagung mit dem Thema „Maestro! L’arte dei direttori d’orchestra italiani nel Novecento“ im Jahr 2012 in Rom gehalten wurden.
Mit Blick auf die Tatsache, dass im 20. Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent in der Tat eher deutsche oder deutschsprachige Dirigenten vorherrschend waren, ist die Ausleuchtung des Einflusses ihrer in Unterzahl agierenden italienischen Kollegen eine begrüßenswerte Initiative. Aber es geht nicht nur um Einflussnahme oder Dirigierpräsenz von Protagonisten verschiedener Nationalitäten. So arbeitet etwa Hartmut Hein in einem lesenswerten Aufsatz heraus, wie sich Herbert von Karajan mit Ehrfurcht und Bewunderung an italienischen Vorbildern orientierte – insbesondere an Toscanini, aber auch an de Sabata. Und Herausgeber Peter Niedermüller setzt sich in einem umfassenden, brillant geschriebenen Essay mit dem Verhältnis Giuseppe Sinopolis zu Gustav Mahler auseinander, jenes symphonischen Giganten, der zwischen zwei Epochen stand und somit Sinopolis Affinität zu solchen Übergangsphasen ansprach.
Konkret, sogar spannend wird es dann, wenn Gesa zur Nieden zunächst über Interpretationsfragen philosophiert und diese am Beispiel der Salome unter Strauss und Toscanini beschreibt, erläutert und miteinander vergleicht. Da finden sich Skizzen zur Orchesteraufstellung ebenso wie Probenpläne oder Pressereaktionen. Sehr umfassend auch ein Beitrag von Jürg Stenzl über das überraschende Thema „Arturo Toscanini und die französische Musik“. Hier erfährt man interessante Details über das besondere Verhältnis der italienischen Pultlegende zum Franzosen Claude Debussy, den Toscanini wie einen Abgott verehrt haben soll.
Wer das Buch lesen möchte, sollte wissen, dass es sich um eine rein wissenschaftlich angelegte Veröffentlichung handelt. Das bedeutet eine ambitionierte Diktion, eine Fülle an Fußnoten mit Quellenangaben und Zusatzinformationen oder abgehobene Titel wie etwa „Bedingungsgefüge musikalischer Interpretationskulturen“. Hinzu kommt, dass zwei Beiträge in englischer Sprache abgefasst sind und das Referat über Claudio Abbados Engagement für die zeitgenössische Musik gar auf Italienisch abgedruckt ist.
Das schränkt ein ungetrübtes Lesen der Aufsatzsammlung doch sehr ein und wird wohl dazu führen, dass der Band eher für wissenschaftliche Arbeiten in den Bibliotheken von Universitätsinstituten verbleiben wird. Dort aber stellt er eine exzellente Grundlage für weitere Studien dar.
Thomas Krämer