Wackerbarth, Horst / Tilman Spengler
Klangkörper
Runfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken
Musik, die Körperlose, verdankt ihr Dasein nicht nur dem schöpferischen Ingenium, sondern auch einem nachschaffenden, oft vielstimmigen Klangkörper, der ihr erst das Leben einhaucht, einzupft, einstreicht, eintrommelt. Dabei besteht in der Regel ein Widerspruch zwischen der Nähe der Klänge, die den Hörer wohlig umgeben, und der kühlen Distanz zu den Schwarzbefrackten auf dem Podium.
Solchen Widerspruch einmal wenigstens virtuell aufzuheben, ist die Intention des vorliegenden Bandes. In ihm wird Musik unausgesprochen definiert als Botschaft von Menschen für Menschen, vermittelt durch Menschen. Um diese Boten geht es den Autoren, die sich einen in der Fachwelt bestens beleumdeten Klangkörper des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Corpus Delicti ausgesucht haben. Die Wahl war ein einziger Glücksfall.
Auf dem schmalen Grat zwischen Serenitas und Seriositas lustvoll, aber auch nachdenklich balancierend, breiten die Saarbrücker eine Augenweide aus, die in vier Sätzen (mit Ouvertüre) der Vorstellung einer Musica humana einen neuen, tiefen Sinn gibt. Eingerahmt von drei großformatigen Gruppenfotos (deren beide letzte das konzertierende Orchester mit Adam bzw. Eva als Dirigenten bzw. Dirigentin in biblischer Kleiderordnung vorstellen), ist der Band ein Bekenntnis zur Musik als einer festlichen Sache, und das heißt auch zum Frack. Dazwischen aber geht die Post ab. Im 1. Satz des ganz sinfonisch disponierten Arrangements der Bilder entfalten sich große Augenblicke des Repertoires von Wagner bis Hindemith vor einem ebenso realistischen wie surrealen Hintergrund. Da gibt es eine nackte Schöne auf dem Trockenen eines ausgedienten Schwimmbeckens, befrackte Bläser auf einer Aschenbahn, über die gerade ein Geisterläufer seine falschen Kurven dreht. Zwei Anhalterinnen zwischen Chur und Wallenstadt fiedeln Strawinsky, in einem Schlachthaus demonstriert die schöne Halbschwester von Hillary Clinton die Vergänglichkeit allen Fleisches Brahms eingedenk. Auf Seite 13 ist die Wiedergeburt der Venus aus dem Cellokasten zu erleben, auf den Seiten 44/45 das Streicherkollektiv mit Samuel Barbers Adagio auf dem Weg nach Innen.
Der 2. Satz fängt in einer faszinierenden Fotosequenz Augenblicke ein, die ihren Rhythmus finden: Klänge werden sichtbar, Natur verschwistert sich paradiesisch friedlich mit der Technik. Der menschlichste, der 3. Satz gibt den Blick frei auf ein anrührendes Babyfoto im Geigenkasten. Daneben hübsche Utensilien, eine Espressodose, Ästhetik des Alltäglichen. Die These, dass jeder Mensch ein Kunstwerk sei, grundiert die Porträtgalerie des 4. Satzes, die ihren eigenen Charme in den erfrischenden Sentenzen der einzelnen Klangkörper hat: eine Truppe mit Herz und Esprit.
Die vorliegende Kollektion meisterlicher Fotos von Horst Wackerbarth und die von Tilman Spengler beigesteuerten inspirierten Texte können als Liebeserklärung an eine Institution gelesen werden, in der Menschen aus Fleisch und Blut tagtäglich ins Werk setzen, was anderen Menschen zur Botschaft wird.
Peter Becker