Overbeck, Barbara

Klangbilder für zwölf Monate

Kalender für den guten Zweck: Andreas Denhoff, Bratscher im Sinfonieorchester Münster, fotografiert „Variationen mit Musik“

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 38

Andreas Denhoff liegt am Boden. Auf dem Pflaster des Prinzipalmarkts mitten in Münster. Die Sonne geht gerade auf und langsam nähert sich eine Polizeistreife, um nachzusehen, was dem Mann fehlt. Hat er getrunken? Ist er einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Springen gleich Boerne und Thiel oder Wilsberg hinter einer Säule hervor? Doch der Mann, der am Boden liegt, fotografiert. Der Polizist sieht die Kamera, der Mann bewegt sich und arrangiert das ebenfalls auf dem Boden liegende Model. Dabei handelt es sich um ein Horn, das besonders schön in der Morgensonne glänzt. Der Polizist nickt dem Fotografen zu, denkt sich vermutlich seinen Teil – und die Streife fährt weiter. Eine Situation, über die Andreas Denhoff heute noch lachen muss. Doch Hauptsache, das Ergebnis stimmt. Ziel des Fotografen war es, die Giebelhäuser, die den Prinzipalmarkt in Münster säumen, als Spiegeleffekt im Horntrichter einzufangen. Und das möglichst ohne Menschenmassen. Die Models, die Andreas Denhoff vor die Kamera holt, halten still. Sie sind mal eckig, mal kurvig, sehr klein bis riesig groß, hauchdünn, aus Holz, Metall oder aus Stahl: Orchesterinstrumente werden in Szene gesetzt und für einen Kalender abgelichtet. Anfang Oktober erscheint die fünfte Ausgabe unter dem Titel „Variationen mit Musik“.
Damit verbindet Andreas Denhoff Beruf und Berufung. Im westfälischen Ahaus geboren, liebäugelt er schon als Zehnjähriger mit dem Fotografenberuf, sitzt nächtelang in der Dunkelkammer, entwickelt seine Schwarz-Weiß-Bilder und arbeitet sogar für die Zeitung in Ahaus. Doch letztendlich entscheidet er sich für die Musik, studiert Geige und Bratsche und ist seit 1995 Bratscher im Sinfonieorchester in Münster. Eine Zeitlang noch fotografiert Andreas Denhoff mit einer analogen Spiegelreflexkamera, zum eigenen Vergnügen, zur Entspannung und als Gegenpol zur Musik.
Doch irgendwann fragt ein Orchesterkollege für private Zwecke nach einem Fotografen und Andreas Denhoff aktiviert seine Leidenschaft aufs Neue, diesmal im digitalen Zeitalter. Bald hat er nicht nur sein Instrument immer dabei, sondern auch eine Kamera. Die Kollegen gewöhnen sich daran, dass ihr Bratscher in den Probenpausen, vor und nach den Auftritten regelmäßig auf den Auslöser drückt. „Unseren Orchesterpaparazzo“ nennen sie ihn im Scherz. Auch der damalige Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura wird auf das Hobby seines Orchestermitgliedes aufmerksam und bittet Denhoff, für die Programmhefte der Sinfoniekonzerte Kollegen zu porträtieren. Bilder entstehen, die nicht nur die Musiker, sondern auch einen Teil ihrer Persönlichkeit zeigen. Welchen Bereich ihres Privatlebens die Musiker preisgeben möchten, bestimmen sie in Absprache mit dem Fotografen selbst. Ein Bild zeigt zum Beispiel einen Musiker, der mit angeschnallten Skiern im Treppenhaus des Theaters steht, Teile seiner auseinandergebauten Posaune benutzt er dabei als Stöcke. Mit viel Aufwand schaffte es der Fotograf auch, den Schauspieler Leonard Lansink – bekannt aus der Münsteraner TV-Krimireihe Wilsberg – zusammen mit einer Fagottistin abzulichten, die Krimifan ist. Gemeinsam mit einem tierliebenden Hornisten besucht Andreas Denhoff die Pinguine im Zoo, musste aber spontan zu den Affen ausweichen, weil die sonst sehr zutraulichen Pinguine große Scheu vor dem Mann im Frack mit Horn entwickelten. Porträtaufnahmen, die beim Publikum der Sinfoniekonzerte großen Anklang fanden.
Von der Spielzeit 2007/08 bis 2011/12 war Andreas Denhoff für alle Fotografien im Konzertbereich zuständig, und so entstand die Idee, aus den vielen musikalischen Motiven einen Kalender zu machen. Denhoff lässt sich vom Detail inspirieren: von Ventilzügen, die sich locker als Gruppe zusammenfinden und dann den Titel „Fünf Freunde“ bekommen; von F-Löchern am Kontrabass, durch die das Licht der Pultleuchten scheint und die so einen regelrechten Röntgenblick ermöglichen; von Blasinstrumenten, in deren Metall sich Spiegeleffekte einfangen lassen; oder von den gesammelten Schlegeln der Schlagwerker, die im Trichter einer Bassposaune aufgeschichtet werden wie Eiskugeln. Selbstredend, dass dieses Foto im Juli 2018 unter dem Motto „Eiszeit“ zu sehen sein wird. Seine eigene Bratsche setzte Andreas Denhoff für den Monat März seines Kalenders Variationen mit Musik in Szene. Im sonnendurchfluteten Treppenhaus des Theaters Münster vollführt das Instrument einen akrobatischen Balanceakt und sieht so aus, als würde es durch Licht und Schatten tanzen.
Äußerst anregend für den Fotografen ist aber auch der Aufenthalt in der Natur. Mit seinem E-Bike fährt Andreas Denhoff täglich die 15 Kilometer lange Strecke von seinem alten Bauernhaus zum Theater. Einige Motive lauern da sprichwörtlich am Wegesrand. Auf dem Bild zum Wonnemonat Mai treffen sich die Schnecken. Kurz bevor der üppige, grüne Farn seine Blätter entrollt, kam die Geigenschnecke hinzu. Wer genau hinsieht, kann da noch zwei eingebaute „Fehler“ entdecken…
Der Erlös aus dem Verkauf des Kalenders – im Jahr 2016 waren es immerhin 3250 Euro – fließt auf das Konto von „Live Music Now Münsterland“, einem von zwanzig allein in Deutschland beheimateten Vereinen der 1977 von Yehudi Menuhin gegründeten Organisation „Live Music Now“. Die Förderung junger Künstler hatte für Menuhin besondere Bedeutung. Dieses Anliegen verband der Jahrhundertgeiger und Dirigent mit dem Wunsch, Musik für hilfsbedürftige und benachteiligte Menschen zu spielen.

> Der Kalender Variationen mit Musik 2018 ist zum Preis von zehn Euro über die Website www.derbildkomponist.de zu beziehen oder telefonisch unter 01577/6838554

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