Schmidt, Wolf Gerhard / Jean François Candoni / Stéphane Pesnel (Hg.)
Klang – Ton – Musik
Theorie und Modell (national)kultureller Identitätsstiftung
Identitätsstiftung durch Musik, das ist nicht nur ein Thema für die musiksoziologische Auseinandersetzung mit Subkulturen, obgleich auch für diese. Die Frage nach dem Klang nationalkultureller Identität ist so alt wie der Kampf zwischen Nationen und Kulturen. Mit wechselnden Gewichtungen zieht sie sich wie ein roter Faden durch die Musikgeschichte, allerdings mit steigender theoretischer Brisanz, je nachdem in welcher Wissenschaftskultur diskutiert wird.
Ein ansehnliches Spektrum an möglichen Zugängen zur Frage des Verhältnisses von Identität und Klanglichkeit liefert der Tagungsband einer Konferenz an der Université Paris-Sorbonne im Jahr 2012. Gestandene Forscher wie Helga de la Motte-Haber trafen auf Nachwuchsforscher mit originellen Zugängen zum Sujet, Ethnomusikologen auf Psychologen. Kaum verwunderlich nimmt insbesondere der Teil, der sich dem Feld von Identitätsstiftung und Ästhetik zuwendet, eine zentrale Position ein mit sehr vielen eigenständigen und in sich geschlossenen Forschungsansätzen, obschon sich gerade hierin ein gewisses thematisches Sammelsurium offenbart, das dennoch von faszinierendem Problembewusstsein zeugt; egal, ob es um Thomas Manns durch Adrian Leverkühn repräsentiertes Künstlerbild geht oder um das Richard Wagners Nibelungenbild zugrundeliegende Prinzip der Mythen-Montage. Innovative Ansätze werden insbesondere aus anderen Disziplinen in die Musikforschung im engeren Sinne hineingetragen. Von dieser disziplinären Vielfalt lebt der Band ebenso wie von einer spezifischen methodologischen Offenheit.
Mehrere Autoren widmen sich der Frage nach nationalen Klangbildern. In mehreren transkribierten Gesprächsrunden bzw. Interviews werden Schlaglichter auf die Problematik scheinbarer oder tatsächlicher nationalkultureller Orchester- oder Gesangsstimmbilder gelenkt. Der Gesprächscharakter öffnet Themenfelder und gibt nicht vor, endgültige Weisheiten parat zu haben.
Nicht unbedingt glücklich mag die Konstellation der Sprachverteilung des Konferenzbandes einer zweisprachigen Konferenz sein: Neben einem der beiden Vorworte ist unter den insgesamt 19 Aufsätzen genau ein französischsprachiger. Dabei hätte man gerade dieser zutiefst musikphilosophischen und ideengeschichtlichen Reflexion von Alain Patrick Olivier über das Konzept von Klang eine sehr breite Leserschaft gewünscht. Der stattliche Preis des Bandes mag da auch nicht unbedingt förderlich sein.
Dennoch: generell eines der lohnenderen Bücher mit einem solchen Ansatz, das zahlreiche Anregungen und Ansatzpunkte für weitere Forschung zu bieten hat, aber auch in vielerlei Hinsicht informativ allgemeinen Aufschluss gibt über die Wahrnehmung musikalischer Identitäten.
Tatjana Böhme-Mehner