Altenmüller, Eckart / Stefan N. Willich (Hg.)
Klang, Körper und Gesundheit
Warum Musik in der Gesellschaft wichtig ist
Was Musik mit uns anstellt, wie sie mit uns Menschen in Resonanz geht, das beschäftigt uns schon so lange, wie es Musik gibt. Gleichzeitig lässt sich zahllosen Aphorismen entnehmen, wie schwierig es ist, die Wirkung von Musik in Worte zu fassen. Ungeachtet dessen hat die Forschung in den Bereichen Sozialwissenschaften, Neurophysiologie, Psychologie, Musikwissenschaften und Medizin in den vergangenen dreißig Jahren große Fortschritte erzielt. Wir verstehen jetzt etwas besser, wie und unter welchen Bedingungen Musik Menschen in Kontakt zueinander bringt, wann sie sich als heilsam erweist und als Ressource für Individuum und Gesellschaft zu verstehen ist.
Klang, Körper und Gesundheit dokumentiert ein Symposium mit gleichlautendem Titel, das die Stiftung Brandenburger Tor 2013 veranstaltet hat. In insgesamt sieben Einzelbeiträgen wird der aktuelle Wissensstand präzise und sehr gut verständlich dargeboten: Wesentlicher Impulsgeber für den eingangs beschriebenen Erkenntniszugewinn ist die Neurophysiologie. Moderne Scanner erlauben seit Ende der 1980er Jahre mit zunehmender Präzision der Funktionsweise unseres Gehirns, zuständig für Wahrnehmen, Fühlen, Beurteilen, Planen, Handeln und Speichern, näher auf die Spur zu kommen. Heutige funktionelle Kernspintomografen ermöglichen eine Betrachtung dieser Aktivitätsmuster gleichsam in Echtzeit.
Was das für unser Wahrnehmen und Bewerten von Musik bedeutet, fasst Stefan Koelsch stringent zusammen. Musik, zumal wenn sie als angenehm empfunden wird, kann direkt sogenannte Belohnungszentren im Gehirn ansprechen, die auch bei positiven Bindungserlebnissen aktiv sind. Auch wenn es weiterer Forschung bedarf, ist der aktuelle Wissensstand eine plausible Erklärung dafür, warum Musiktherapie so hochwirksam sein kann, zumal das Gros von Patienten, die diese Form der Psychotherapie in Anspruch nehmen, in ihrer Lebensgeschichte oft traumatisierenden Erfahrungen mit Bindungspersonen ausgesetzt waren. Susanne Bauer weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass Musik keineswegs per se nebenwirkungsfrei ist. Ganz individuelle Erfahrungen mit Musik in der Lebensgeschichte können eine Kontraindikation für Musiktherapie darstellen. Das kennen wir alle: Auch ohne Trauma in der Lebensgeschichte kann eine ungewollt gehörte Melodie in der Warteschleife eines Callcenters das individuelle Stresslevel erheblich steigern.
Umgekehrt braucht es kein Trauma in der Lebensgeschichte, um Musik bei entsprechend positiver Bewertung als Steigerung von Lebensqualität zu verbuchen. So wirbt Gunter Kreutz für die allgemein ressourcenentfaltende Kraft von Musik am Beispiel des Gesangs, und Andrea Tober weitet den Fokus auf die gesamtgesellschaftliche Ebene mit ihrem Plädoyer, dass Kultur kein Luxus, sondern Notwendigkeit sei. Dass es dafür gesunde Musiker braucht, verdeutlicht Eckart Altenmüller schließlich in seinem Thesenpapier zu Musikermedizin und Musikphysiologie.
Alles in allem ein hochlesenswerter Band für alle, die sich mit der Unsagbarkeit romantischer Aphorismen zur Musik nicht zufriedengeben und entsprechend neurophysiologisch aktiviert mit neugieriger Freude über den Tellerrand blicken möchten.
Peer Abilgaard


