Joscha Schaback

Kindermusiktheater in Deutschland

Kulturpolitische Rahmenbedingungen und künstlerische Produktion

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Theater der Zeit
erschienen in: das Orchester 07-08/2021 , Seite 62

Musiktheater für Kinder und Jugendliche ist eminent wichtig – nicht nur, um Zuschauerschwund und Überalterung des Publikums entgegenzuwirken, sondern vor allem, um jungen Menschen Chancen und Möglichkeiten der Teilhabe an und Bildung durch ein Theater der Töne zu ermöglichen. Dieser These würden sicher die meisten Menschen zustimmen. Der Autor Joscha Schaback sicher auch, aber er will viel mehr: eruieren, welche Bedingungen diese Sparte heute hat und braucht, welche Kulturpolitik ihre Existenz besser sichern könnte – und, eigentlich das Wesentliche, was im Musiktheater für junges Publikum überhaupt auf die Bühne(n) kommt.
Das Buch ist die Veröffentlichung seiner Dissertation von 2019, und da beginnt schon das Problem. Denn was in einer Doktorarbeit essenziell ist, wird in einem Publikumsbuch zum Hemmschuh. Schaback erläutert ausführlich das Theater-Einmaleins: Was ist ein Intendant, was bedeuten Hierarchien, hilft oder hemmt der Opernkanon – um später die Freiheit der Freien Szene von all dem zu preisen. So dauert es bis zur Seite 77, bis zum erstenmal konkret über eine Produktion für junges Publikum zu lesen ist. Natürlich eine „freie“ Stückentwicklung, „in Unabhängigkeit vom Mutterhaus“, von Schaback gleichgesetzt mit „Innovation durch Eigenständigkeit“.
Der Autor war, so weist es die Biografie im Buch aus, Musiktheaterpädagoge, Operndramaturg und -direktor sowie in der Lehre tätig. Eine Menge praktischer Erfahrung offenbar, die aber nur sehr theoretisch rüberkommt. Probenprozess, Bühne, Partizipation des Publikums („mit Sitzkissen auf Augenhöhe“), Inszenierung: All das wird abgehandelt – von Faszination keine Rede, Darsteller haben keine Namen.
Vor allem aber bildet Schaback immer wieder geläufige, aber nicht unbedingt richtige Gegensätze: Die unflexible, altmodische Oper gegen die in allem so freie Szene; Stadttheater bräuchten eine Reform ihrer Arbeitsweise, die „Freien“ fänden neue Kunstformen; Orchesterdienste, Abendspielpläne und Tarifverträge seien von Übel, weil innovationshemmend. Zu fast allen, teilweise steilen Thesen lassen sich Gegenbeispiele finden. Und wenn der Autor über das Kinderopernhaus in Berlin-Lichtenberg – welches Sozialpädagogik und Musiktheater verbindet – schreibt, Orientierung am professionellen Vorbild sei zentral, dann aber konstatiert, man habe einen Anspruch an den Prozess, nicht ans Ergebnis, „die Aufführung ist lediglich der notwendige Abschluss des Probenprozesses“, dann ist das ein Widerspruch in sich.
Hier zeigt sich außerdem ein weiteres Problem des Buchs, das mit nur vier Beispielen auskommt, drei davon in Süddeutschland: Die neuen Länder kommen gar nicht vor, andere Städte und Regionen bloß in Nebensätzen. Das mag für eine Dissertation genügen, für ein Übersichtsbuch zu dem Musiktheater für junge Menschen ist es zu wenig. Und auch die Thesen-Frage des Klappentextes „Wird Kindermusiktheater die Kunstform der Zukunft?“ vermag das nicht zu tragen.
Ute Grundmann