Martland, Steve

Kick

for six players, Partitur/Stimmensatz

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London 2013
erschienen in: das Orchester 05/2014 , Seite 70

Der Engländer Steve Martland ist ein unkonventioneller Komponist. Er wurde 1959 (nicht 1954, wie angegeben) in Liverpool geboren und erhielt bei Louis Andriessen in Den Haag Kompositionsunterricht. Außerdem hat ihn Gunther Schuller stark beeinflusst. 2013 erlag er einem Herzschlag.
Sein kompositorisches Credo, dass Kunst völlig frei sei, führt ihn in seinen Werken zu einer Musik, die sich entschieden von den Hauptrichtungen der zeitgenössischen Musik abwendet und eine Vermischung von verschiedenen Stilrichtungen zulässt. Dadurch und durch die akustisch eindringliche Präsenz seiner vom Rhythmus dominierten Stücke ist er, wie er selbst sagt, zum Enfant terrible in England geworden. Um sich von eingefahrenen Gleisen zu befreien, gründete er ein eigenes Ensemble, die „Steve Mart­land Band“, mit der Besetzung drei Saxofone, Trompete/Flügelhorn, Posaune, Violine, Klavier, Schlagzeug und E- und Bassgitarre. Für diese gemischte Besetzung aus den Stilbereichen Jazz, Klassik und Rockmusik ist auch die ursprüngliche Version des Stückes Kick entstanden, das für die Fußballeuropameisterschaft 1996 geschrieben wurde. Diese Fassung hat Martland 2005 für das Tacet Ensemble auf sechs Spieler reduziert: Flöte, Bassklarinette, Violine, Violoncello sowie Marimbafon, Drum Set und Klavier.
Die achtminütige Komposition basiert auf der Melodie eines englischen Volkstanzes aus dem 17. Jahrhundert und ist als Thema mit fünf Variationen gestaltet. Nach einem dissonanten Eröffnungsakkord führt eine auch im weiteren Verlauf durchgehaltene Sechzehntelkette im Marimbafon zur Themenvorstellung in der Violine. Die periodisch gebaute, in sich variative Melodie in e-Moll wird von den Bläsern und dem Violoncello dezent begleitet, ehe diese sich auch der Melodie annehmen oder Eigenes beisteuern. Schnell gerät man in den Sog der Musik, der auch durch die geforderte Dynamik – nahezu ununterbrochen ff – hervorgerufen wird. Doch die erste Variation setzt im 12/8-Takt neue rhythmische Impulse und lässt zunächst nur Melodiebruchteile erkennen, die gegen Ende dann aber wieder zu einer einheitlich schwingenden Melodie werden. In der zweiten Variation wird die tonale Bindung etwas aufgelockert, während das Marimbafon dominiert und Flöte und Bassklarinette im schnellen Wechsel dessen Sechzehntelphrasen akzentuieren. In der nächsten Variation übernimmt die Violine mit einem scharf punktierten Rhythmus die Führung und treibt die Musik vorwärts, begleitet und ergänzt wieder durch die Bläser. Die Intensitätssteigerung setzt sich in der vierten Variation mit dem Einbeziehen des Drum Sets fort, ehe der Wechsel zum 5/8-Takt in der letzten Variation, der mit einer Reduktion auf einige Motive einhergeht, das ursprüngliche Gefüge des Themas wanken lässt.
Martland verwendet in Kick ausschließlich traditionelle Spieltechniken und verlangt keine instrumentale Virtuosität. Kick ist aus dem Geist der Tanzmusik und der Tradition heraus geschrieben und bedarf nur eines lustvollen Musizierens. Ein tiefergehender Anspruch ist nicht zu erkennen, es sei denn die Verstörung, wenn dieses Werk im Rahmen eines Konzerts zeitgenössischer Musik erklingt. Und das wäre ganz im Sinne des Komponisten.
Heribert Haase