Ludwig van Beethoven

Kammermusik mit Streichinstrumenten

13 Bände im Schuber, Urtextausgaben, Studienpartituren

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle
erschienen in: das Orchester 09/2020 , Seite 88

Nicht jede Veröffentlichung ist gleich eine Offenbarung, auch nicht im Beethoven-Jahr 2020. Aber selten war ich so begeistert wie beim Auspacken der Box mit den Taschenpartituren der Henle-Edition der Beethoven’schen „Kammermusik mit Streichinstrumenten“. Um genau zu sein: Hier versammelt sind alle Kammermusikwerke für Streicher ohne Mitwirkung des Klaviers. Es fehlen also die Violin- und die Cellosonaten, die Klaviertrios und anderes mehr. Enthalten sind dagegen neben allen Originalkompositionen für Streicher vom Duo bis zum Quintett auch noch verschiedene Bearbeitungen von Werken, die der Meister zuerst für andere Instrumente schrieb und dann umarbeitete, und es fehlen auch nicht die Flötenserenade op. 25, das Sextett op. 81b für Streicher und 2 Hörner und das beliebte, wenn auch von Beethoven selbst nicht sonderlich geschätzte Septett für gemischte Streicher- und Bläserbesetzung.

Viele der 13 Taschenpartituren sind streng genommen keine Neuveröffentlichungen, sondern hier in einer Kassette zusammengefasste Einzelerscheinungen der Jahre 1969 bis 2019. Sie bieten eigentlich alles, was man sich von einer Studienpartitur nur wünschen kann: einen sorgfältig editierten (Ur-)Text, der natürlich deckungsgleich mit demjenigen der bei Henle erschienen Einzelstimmen ist; im Vorwort kurzgefasste, aber informative Einführungen in die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Kompositionen (wobei das Fehlen anderswo üblicher, oft unangenehm belehrender, gelegentlich geradezu rechthaberischer Stil-„Anweisungen“, wie etwas „richtig“ zu spielen sei, äußerst wohltuend ist); in den „Bemerkungen“ am Schluss einen ordentlichen Rechenschaftsbericht mit Quellenauflistung, den sich wiederum manch andere sich ansonsten wissenschaftlich gebende Veröffentlichung in ihren Einzelausgaben glatt spart. Es sei zudem die für Taschenpartituren ungewöhnlich gute Lesbarkeit des Drucks hervorgehoben.
Anstatt hier ein weiteres Mal die Einzigartigkeit der Streichquartette – fürwahr ein lebenslanges intimes musikalisches Tagebuch des Meisters – zu preisen, möchte ich den Blick kurz auf einige weniger im Fokus stehende Werke lenken, die hier ebenfalls vertreten und durchaus von Interesse sind. Da sind zunächst das oben bereits erwähnte Quartett in F-Dur nach der Klaviersonate in E-Dur op. 14/1, das Streichquintett op. 104 in c- Moll nach dem Klaviertrio op. 1/3 sowie das frühe Sextett in Es-Dur op. 81b, das wegen der passagenweisen Verdoppelung des Celloparts durch einen zusätzlichen Kontrabass eigentlich ein Septett ist. Insbesondere die Transkription der Klaviersonate verblüfft in ihrer ausgewogenen Natürlichkeit, so als sei das Umformen einer komplett pianistisch konzipierten Anlage zu einem klanglich doch so andersartig strukturierten Gebilde völlig selbstverständlich. Die Komposition klingt so, als sei sie nie etwas anderes als ein Quartett gewesen.
Diese Kassette sei allen Streichern – und nicht nur ihnen! – mit Nachdruck empfohlen, in jede Musikbibliothek gehört sie ohnehin.

Herwig Zack