Jacques Ibert

Kammermusik

Ensemble Arabesques, Ltg. Philipp Pointner

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Farao Classics
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 78

Der 1890 geborene Jacques Ibert hätte von der Generation wie vom Stil seiner frühen Werke her gut zur „Groupe des Six“ gepasst, den zwischen 1888 und 1899 geborenen Komponisten um Darius Milhaud, Francis Poulenc und Arthur Honegger. Ibert vereinte, wie seine Enkelin Véronique Ibert Péréal im Booklettext schreibt, „Klarheit, Ausgewogenheit, Schwung und Eleganz“ als Merkmale „französischen“ Komponierens, vermied zugleich aber jedwede Gruppenzugehörigkeit, wenngleich er in seiner späteren Laufbahn durchaus organisatorische Aufgaben übernahm, die jüngeren Kollegen zugutekamen: als Direktor der französischen Akademie in Rom – deren Preis er 1919 selbst errungen hatte – oder als Verwaltungschef beider Pariser Opernhäuser. In Paris bei Gabriel Fauré und André Gedalge ausgebildet, stand er in regelmäßigem Gedankenaustausch mit Milhaud und Honegger, später auch Messiaen, und öffnete sich hörbar den neoklassizistischen Einflüssen eines Igor Strawinsky etwa der 1920er Jahre.
Die bereits 2018 aufgenommene, jetzt herausgegebene CD mit sechs Kammermusikwerken Iberts in Besetzungen von drei bis zehn Instrumenten aus den Jahren 1922 bis 1949 zeigen den Komponisten als Meister durchsichtigster, rhythmisch stets überraschungsfähiger Faktur, raffinierter Klangbalance, aber auch – im Capriccio, einem Dixtuor – einer fast sinfonischen Klangfülle. Sieht man von den Trois pièces brèves für das klassische Bläserquintett (Flöte, Oboe, Klarinette, Horn, Fagott) und den Cinq pièces en trio für Oboe, Klarinette und Fa-gott einmal ab, so sind die anderen Besetzungen eher seltene Klangkombinationen, darunter das Trio für Violine, Violoncello und Harfe und die Deux Interludes für Flöte, Violine und Harfe. Auch das 1938 entstandene Capriccio ist mit Streichquartett, Trompete, vier Holzbläsern und wiederum Harfe durchaus originell besetzt.
Mit einer Ausnahme bestimmen in allen Werken die Bläser den Gesamtklang entscheidend mit, was einer Grundausrichtung von Iberts Kammermusikschaffen entspricht, wie er selbst einmal formulierte:
„Ich fühlte mich schon immer von Blasinstrumenten angezogen, vielleicht weil es so schwierig ist, sie aussagekräftig einzusetzen, vielleicht auch als Gegenreaktion auf den Zeitgeschmack, der Streicher bevorzugte.“
Die als Ensemble Arabesques versammelten, insgesamt dreizehn Interpreten sind überwiegend im Raum Hamburg verankert, aber auch der Münchner Cellist Peter Wöpke und der österreichische Dirigent Philipp Pointner (Capriccio) bereichern die Besetzung. Alle meistern die teilweise hochvirtuosen Anforderungen souverän. Unter den Bläsern sticht dabei nicht zuletzt der geschmeidige Fagottklang von Christian Kunert hervor.
Interpretation und Klangbild der Aufnahmen stellen, bei großer Durchhörbarkeit, die Verschmelzung der teilweise disparaten Klänge von Streichern, Bläsern und Harfe in den Vordergrund. Insgesamt also ein akustischer Leckerbissen für entdeckungsfreudige Hörer.
Rainer Klaas