Kammerkonzerte im Roten Rathaus
Werke von Telemann, Poulenc, Bach u.a., 2 CDs
Was haben denn nun Telemann, Näther, Poulenc, Mozart, Coleman und Bach um nur einige zu nennen gemeinsam? Berlin. Sie alle hatten oder haben etwas mit Berlin zu tun. Johann Sebastian Bach etwa besuchte im Mai 1747 auf Einladung Friedrichs des Großen Potsdam und Berlin und spielte dort auf den Pianoforti und Orgeln. 2006 eröffnete der englische Komponist und Dirigent David Robert Coleman im Berliner Konzerthaus das Young Euro Classics Festival mit dem Youth Orchestra of the Americas. Werke des ebenfalls zeitgenössischen deutschen Komponisten Gisbert Näther wurden unter anderem von Berliner Orchestern uraufgeführt. Anton Webern war Schüler Schönbergs, und der unterrichtete am Sternschen Konservatorium in Berlin. Mozart litt unter Geldsorgen, als er sich vor rund 220 Jahren über Prag, Dresden und Leipzig auf die Reise nach Berlin machte.
Dies der eine Anlass für die vorliegenden CDs mit Live-Aufnahmen, die zwischen Oktober 2010 und März 2011 im Roten Rathaus Berlin entstanden. Der andere ist ein ganz pragmatischer: Das Rote Rathaus in Berlin, Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters, ersetzt derzeit die eigentliche Heimat des Orchesters Unter den Linden. Zugunsten seiner Sanierung werden (Benefiz-)Konzerte veranstaltet. Es spielt die Staatskapelle Berlin, die man schon längst nicht mehr nur als Staatskapelle kennt. Allerorten begegnet man ihren kammermusikalischen Vereinigungen, die auch hier verstehen lassen, weshalb sich die deutsche Hauptstadt zu Recht so zahlreicher Ensembles rühmen darf.
Wer auf bahnbrechende Neudeutungen hofft, möge sich anderer Einspielungen bedienen. Diese hier zeigt ganz einfach und das ist bekanntlich die Kunst in beeindruckender Weise die Spezialität eines jeden dieser Ensembles und Komponisten: Telemann wird historisch klar dargeboten. Poulencs Sextett für Bläser und Klavier ist sehr lebhaft, fast aggressiv in den Ecksätzen, zu denen der zweite einen agogisch frei gestalteten, nachdenklich stimmenden Kontrast bildet. Mozarts Kegelstatt-Trio kommt äußerst knackig und präsent daher. Dem Mahlerschen Quartettsatz für Klavier und Streichtrio fehlt es meines Erachtens an der komponistenseitig gewünschten Entschlossenheit, dennoch kommen die Intensität und Innigkeit dieses Werks gut zum Ausdruck. Insbesondere die (ein wenig zu dominante) Sologeige macht den spätromantisch-konzertanten Gestus in Anton Weberns Langsamem Satz für Streichquartett deutlich. Ohne die Leistung in anderer Hinsicht schmälern zu wollen, gebührt den Akteuren da selten zu hören besonderer Dank für die Darbietung der erwähnten zeitgenössischen Stücke von Näther (Die vier Temperamente nach Hippokrates) und Coleman (Zwiegespräche mit einem wunderbaren Solo-Bratscher).
Besonders erfreuliche Symbiose: Die Aufnahmen, fast durchweg höchst ausgewogen, in meinen Ohren teilweise ein wenig zu solistenlastig, wurden von Studierenden des Tonmeisterstudiengangs der UdK Berlin getätigt, die damit gleichzeitig auch dieses Konzertprojekt fördern. Nicht nur den Regierenden Bürgermeister wirds freuen.
Carola Keßler