Frank Pommer

Kaiserslautern: Neuer Geist mit neuem Namen

Das 1. Sinfoniekonzert der neubenannten Pfalzphilharmonie

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 12/2022 , Seite 52

Das Orchester des Pfalztheaters in Kaiserslautern hat mit Beginn dieser Spielzeit einen neuen Namen: Pfalzphilharmonie Kaiserslautern. Generalmusikdirektor Daniele Squeo erklärt im Gespräch, warum man den Orchesternamen geändert hat. Und zeigt beim ersten Konzert der Saison in der Kaiserslauterer Frucht­halle, dass mit dem neuen Namen vielleicht auch neuer Geist eingezogen ist.
„Wir versprechen uns von dem neuen Namen natürlich zunächst einmal Aufmerksamkeit, aber auch eine größere Identität mit dem Orchester“, antwortet Generalmusikdirektor Daniele Squeo auf die Frage, warum man sich von dem Namen Pfalztheaterorchester verabschiedet habe. Man wolle mit dem neuen Namen selbstbewusster auftreten, zudem sei die Namensänderung Teil einer Strategie, das Profil des Orchesters zu schärfen. Diese wirke sich programma­tisch aus, indem man stärker auf neue und unbekannte Musik in den Konzerten setze, aber auch organisatorisch, indem man Stellen für einen Orchestermanager und einen Notenbibliothekar geschaffen habe, die es zuvor nicht gegeben habe, berichtet Squeo.
Im Programm des ersten Konzerts konnte man die neue Ausrichtung des Orchesters erkennen. Das hatte mit Auszügen aus Richard Wagners Oper Tristan und Isolde (Vorspiel und „Liebestod“) begonnen, was laut Squeo auch vor dem Hintergrund der ersten Opernpremiere der Saison am 9. Oktober zu sehen sei: Wagners Tannhäuser.
Man setze in dieser Spielzeit zwar einen Schwerpunkt mit der Aufführung aller Sinfonien von Johannes Brahms, integriere aber stets auch unbekanntere Komponist:innen, die in Richtung der Moderne weisen würden.
Diese Position war beim ersten Konzert mit Paul Ben-Haim besetzt. Der wurde 1897 als Paul Frankenburger in München geboren, emigrierte 1933 nach Tel Aviv und wurde als Komponist und Dirigent so etwas wie der Gründungsvater der israelischen Musik. In der neuen Heimat legte er sich auch den neuen Namen zu. Gestorben ist Paul Ben-Haim 1984.
In Kaiserslautern erklang Ben-Haims Violinkonzert, das den Titel Evocation trägt, interpretiert von der jungen Geigerin Liv Migdal. Dieses Violinkonzert von Paul Ben-Haim ist eine echte Entdeckung. Der Komponist hat zu einer ganz eigenen Tonsprache gefunden, die im einen Moment sehr vertraut und spätromantisch anmutet, im nächsten Augenblick jedoch fast schroff abweisend, jedenfalls gänzlich unvertraut wirkt. Man glaubt Mahler zu hören, das Stück ist auch eine klingende Trauerarbeit im spätromantischen Tonfall. Eine Klage über all das, was der Komponist verloren hat, was er aufgeben musste. Doch das Entstehungsjahr 1942 ist omnipräsent. Die Nazis sind gerade dabei, nicht nur die Welt in Schutt und Asche zu legen, sondern auch Millionen von Ben-Haims jüdischen Glaubensgenossen zu vernichten. Abrupt ändert sich die Tonsprache, sie wird martialisch, fast schon aggressiv, so, als wolle sie aufbegehren gegen das Böse, sich zur Wehr setzen. Doch der vermeintliche Triumph verebbt. Am Ende, wenn sich das musikalische Geschehen wieder beruhigt, steht vielleicht die Hoffnung, die Musik könne jene abwesende, bessere Welt zumindest in unserer Vorstellung heraufbeschwören – als tönende Evokation, wie es der Titel des Konzerts verspricht.
Mit der 1988 geborenen Geigerin Liv Migdal hatte das Ben-Haim-Konzert, das in Kaiserslautern seine deutsche Erstaufführung erlebte, eine ganz wunderbare Fürsprecherin. Ihr technisch perfektes Spiel ist dabei nur die Voraussetzung für ein sehr intensives, tief berührendes Musizieren. Sie gibt den klagenden, tief-traurigen Passagen der Solovioline jeden Raum und alle Zeit, damit sie ihre fast schon aufwühlende Wirkung entfalten können. Und sie stellt sich auch den sperrigen, technisch höchst anspruchsvollen Momenten, in denen man glaubt, die ganze Verzweiflung des Komponisten angesichts einer ihn umgebenden Apokalypse hören zu können.
Wie sehr sie für dessen Werk regelrecht brennt, wird dann im Gespräch mit der sympathischen jungen Frau deutlich. Sie erzählt von ihrer jüdisch-polnischen Familie, berichtet von dem Kontakt zu den Enkeln Ben-Haims. Und freut sich auf die bevorstehende Einspielung des Violinkonzerts. Eine Vorfreude, die man nur teilen kann.
Nach der Pause schlug dann so etwas wie die Geburtsstunde des neuen Orchesters, bei dem ja nur der Name neu ist. Vielleicht aber weht auch ein neuer Geist durch die Musikerreihen, beflügelt der neue Name. Das Spiel des Orchesters jedenfalls bei der ersten Sinfonie von Brahms erinnerte in keinem Augenblick daran, dass wir es mit dem Klangkörper eines kleinen Stadttheaters zu tun haben. Das klang wirklich nach Pfalzphilharmonie, war mitreißend, packend, voller Energie. Dazu animiert wurden die Musikerinnen und Musiker von einem leidenschaftlich agierenden Daniele Squeo am Pult, der dem Klischee vom vermeintlich unterkühlten Norddeutschen Johannes Brahms auch nicht den Hauch einer Chance ließ. Auf die Frage vor dem Konzert, welchen Zugang er zu einem Werk finden wolle, zu dem doch eigentlich alles gesagt ist, hatte Squeo geantwortet: „Es soll mein Brahms werden.“ Und genau das war er. Und dieser Brahms war richtig gut!