Schmidl, Stefan

Jules Massenet

Sein Leben, sein Werk, seine Zeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2012
erschienen in: das Orchester 12/2012 , Seite 64

Gemessen am vielfältigen Opernschaffen von Jules Massenet hält sich die Literatur zu dem einst so erfolgreichen französischen Komponisten, besonders was den deutschen Sprachraum anbelangt, sehr in Grenzen. Stefan Schmidl, Mitarbeiter der Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, füllt daher mit seinem Band bei Schott eine Lücke, auch wenn er dem im Untertitel formulierten hohen Anspruch “Sein Leben, sein Werk, seine Zeit” auf knappen 176 Seiten nicht ganz gerecht werden kann.
Nur eingeschränkt beipflichten kann man dem Autor, wenn er einleitend feststellt, Massenets Nachruhm gründe sich auf zwei Opern und einem Opernintermezzo: Manon, Werther und dem Wunschkonzertklassiker “Meditation religieuse” aus Thaïs. Auch wenn von den Massenet-Opern Manon und Werther noch immer am häufigsten aufgeführt werden, hat in den vergangenen 30 Jahren eine Renaissance eingesetzt, sowohl auf Tonträger als auch in mittleren Opernhäusern, und Werke wie Don Quichotte, Cendrillon und Thaïs sind wieder häufiger zu hören.
Schmidl nennt für das relativ bald nach Massenets Tod im Jahr 1912 nachlassende Interesse an weiten Teilen des umfangreichen Schaffens des Komponisten – zu dem neben den 25 Opern auch die einst erfolgreichen Oratorien, Orchesterwerke, Konzerte und viele Lieder gehören – sein Image als “Frauenkomponist” sowie die schwer durchschaubare Persönlichkeit des Musikers. Wirklich greifbar wird der Komponist als Person auch in dieser Biografie kaum, was aber nicht dem Autor anzulasten ist, eher dem Hang Massenets, sich hinter Masken zu verstecken und kaum Persönliches preiszugeben.
Neben einem knappen, die Atmosphäre des Fin de Siècle aber gut charakterisierenden biografischen Überblick steht die Annäherung an die Musik Massenets, besonders des reichen Opernschaffens, im Zent-
rum. Stefan Schmidl gelingt es hier, hinter dem Klischee des “Frauenkomponisten” – Massenets Zeitgenossen schätzten seine Opern als fantastische Frauenporträts – einen durchaus vielschichtigen Musiker sichtbar zu machen. Wenn Massenet das Publikumsbedürfnis nach “Sentimentalität und Melodramatik mit virtuosem Kalkül erfüllte” (Schmidl), so zeichnete er zugleich in erfolgreichen Opern wie Manon, Werther oder auch Thaïs die bürgerliche Enge oder den religiösen Fanatismus nach, der den Protagonisten zusetzt.
So ist dieser Band durchaus lesenswert und informativ und gibt vielleicht Anlass zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung besonders mit der vielschichtigen Opernästhetik des Komponisten.
Walter Schneckenburger