Clara Schumann

Jugendtagebücher 1827 – 1840

hg. von Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms
erschienen in: das Orchester 07-08/2019 , Seite 58

„Ich begreife seine Härte nicht, und seinen entsetzlichen Haß auf Robert den er früher so sehr liebte, auch nicht“, notiert Clara Wieck am 26. September 1839. Kaum ein Jahr später ist eine der deprimierendsten Familienfehden, die wir aus Künstlerbiografien kennen, überstanden: „Weiteres steht nun in unserem gemeinschaftlichen Tagebuch – es soll von nun an unter uns ein Herz und eine Seele sein.“ Im Vorausblick auf die Ehe mit Robert Schumann beendet Clara an ihrem 21. Geburtstag ihr Jugendtagebuch. Vorausgegangen war jener zermürbende Streit um die Eheschließung, die Claras Vater Friedrich Wieck um nahezu jeden Preis hatte verhindern wollen. Doch woher rührte sein „Haß auf Robert“?

Vielleicht kann auch das vorliegende Buch die Psyche des Klavierlehrers und Instrumentenhändlers Friedrich Wieck nicht bis ins Letzte durchleuchten, doch zweifellos kommen wir ihm und seiner hochbegabten, ungemein charakterstarken Tochter hier Zug um Zug lesend näher. Bisher waren Claras Jugendtagebücher nur in Auszügen zugänglich, vor allem dank Berthold Litzmanns Clara-Schumann-Biografie aus dem Jahr 1902. Nun liegt erstmals eine vollständige, textkritische und umfassend kommentierte Edition vor: Anmerkungen sowie ein akribisches Namens- und Werkregister füllen über ein Drittel des Bandes.

Die Jugendtagebücher sind in Wahrheit ein Gemeinschaftswerk: Von 1827 an schrieb Friedrich Wieck in einer Doppelrolle als „Friedrich-Ich“ und „Clara-Ich“ dieses Dokument einer durchgeplanten Karriere zunächst allein nieder. Nach einem ersten Versuch 1828 meldet sich die wirkliche Clara im Juni 1831, als noch nicht Elfjährige, selbst zu Wort. Im Laufe der nächsten Jahre steigert sich ihr Anteil kontinuierlich, doch erst 1838 – Clara ist längst eine gereifte junge Frau und weithin gefeierte Künstlerin – endet Friedrichs Autorentätigkeit. Diese bestand ohnehin nie aus reinem Protokollieren: Welch manischer Ehrgeiz Friedrich Wieck antrieb, sein „Projekt“ zu gestalten, wie viel Argwohn dieser im Grunde künstlerisch sensitive Mann darüber entwickelte, ist den Aufzeichnungen unschwer zu entnehmen. Zugleich wächst unsere Bewunderung für die Künstlerin Clara gleichsam von Jahr zu Jahr, wenn wir nachvollziehen, mit welcher Tatkraft sie sich das musika­lische Terrain erschloss und wie warmherzig sie ihren Zeitgenossen, darunter gekrönten Häuptern und vielen Zelebritäten, begegnete. Welche inneren Konflikte Clara – lange vor jeder institutionellen Frauenemanzipation – auszutragen hatte, zeigt etwa ihre Eintragung vom 7. April 1840: „Ich ginge so gern nach England und weiß doch wieder nicht ob es gerathen ist, Robert will es nicht, er meint es komme nichts dabei heraus […] Ach Gott, es kommt gar keine Ruhe in mich!“

Sind es solche Momente, die in uns den Verdacht des Voyeurismus wachrufen, so dürfen wir wohl andererseits die lebhaften Schilderungen des kulturellen Lebens der Zeit dankbar und ohne schlechtes ­Gewissen lesen. Ein bewegendes Buch!

Gerhard Anders