Peter Eötvös
Joyce
für Klarinette und Streichquartett
Inspiration für seine Kompositionen hat der ungarische Komponist Peter Eötvös immer wieder aus außermusikalischen Quellen gezogen, sei es aus der bildenden Kunst wie in Reading Malevich oder wie im vorliegenden Fall aus der Literatur. Dabei geht es ihm nicht um eine inhaltliche Duplizierung oder um programmatische Aspekte, sondern um eine Verwandlung in eine musikalische Komposition.
Das elfte Kapitel aus James Joyce’ epochalem Werk Ulysses hat ihn in Verbindung mit Texten von Homer und Kafka 2016 zu der dreisätzigen Komposition The Sirens Cycle für Sopran und Streichquartett angeregt, aus der er 2017 den ersten Teil Joyce zu einer Fassung für Klarinette und Streichquartett umschrieb, die 2019 in Madrid uraufgeführt wurde. Die sieben zum Teil sehr kurzen Sätze übersetzen, wie Eötvös im Vorwort ausführt, „die von den anwesenden attraktiven Bardamen angeregten äußerst maskulinen Träumereien des Protagonisten Leopold Blum in entsprechend energische musikalische Gesten“.
Diese Gesten sind äußerst wechselhaft, prallen dynamisch extrem aufeinander und umspannen oft den ganzen Tonraum der Klarinette. Sie werden formal und inhaltlich über die Sätze hinweg durch zumeist kurze chromatische Zellen – in der Abwärtsführung mit Staccato verbunden die Atmosphäre der Leichtlebigkeit einfangend oder auf das Verführerische verweisend – eingebunden. Die Spielanweisung „lachend“ beim Auftreten einer solchen Zelle im letzten Satz eröffnet einen weiteren interpretatorischen Raum.
Insgesamt ist die Tonsprache Eötvös’ von den klangfarblichen Errungenschaften der zeitgenössischen Musik geprägt, aber sie führt nicht bis zum nur Geräuschhaften oder zur starken Verfremdung. Extensiv werden das Spiel in hohen Lagen und zum Sujet passende Glissandoeffekte genutzt. Damit bleibt die musikalische Umsetzung relativ nahe bei der Technik der Sprachbehandlung von Joyce mit u.a. Wortspielen, Wortneuschöpfungen, Wortumstellungen und Lautmalerei. Analog dazu finden sich in der Musik Permutationen im Melodischen. Darüber hinaus gibt es konstruktive formale Verfahren. Im dritten Satz beispielsweise, mit dem Untertitel „O Rose“, erzeugen die Streicher einen vierstimmigen Klangteppich, der aus Spiegelungen unterschiedlicher Melodien und Rhythmen entsteht, während im sechsten Satz kanonartige Abschnitte und deren umgekehrte Einsatzfolge vorkommen.
Die Musik Eötvös’ hat auch eine starke rhythmische Prägung, die einmal, als es allzu harmonisch zu werden droht, durch ein dazwischen gerufenes „PSSSS“ ironisch gebrochen wird. Ebenso überraschend ist kurz vor dem Ende das Eindringen von Naturlauten in den Streichern, die „wie ein Vogel“ klingen sollen. All dies zeigt die Handschrift eines Komponisten, der es versteht, eine literarische Anregung in eine kurzweilige, atmosphärisch äquivalente und effektvolle Musik, der es auch nicht an Witz mangelt, umzusetzen.
Eötvös hat auch eine Version für Klarinette solo erstellt, die ebenfalls bei Schott (KLB 101) erschienen ist.
Heribert Haase