Lessing, Erich

Joseph Haydn und seine Zeit in Bildern

Mit Beiträgen von Johann Christoph Allmayer-Beck und Rudolf Klein

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Verlag der Metamorphosen, Wien 2009
erschienen in: das Orchester 11/2009 , Seite 64

Dieses grandios gestaltete Buch kann man aus ganz unterschiedlicher Perspektive lesen – als Musikwissenschaftler, als Kulturhistoriker, als Europa-Kundler, als kulturell aufgeschlossener Tourist, als allgemeine Haydn-Hommage, als Anti-Haltung zur denunzierenden „Papa Haydn“-Attitüde, als Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ständig wechselt die Position. Das belebt diese originäre Haydn-Begegnung enorm.
Die Autoren, namentlich Johann Christoph Allmayer-Beck, räumen tüchtig auf bei der oft noch vorherrschenden Einschätzung, Haydn sei zwar ein wichtiger, aber kein die späteren Generationen beeinflussender Meister in Diensten derer von Eszterházy gewesen. Nein, Streichquartett und Sinfonie zum Beispiel hat der Wiener (1732-1809) geadelt und durchgesetzt, durch seine unermüdliche Schaffens- und Willenskraft. Mit seinen Oratorien (Jahreszeiten, Schöpfung) schuf er populäre Werke, die heute kaum etwas an Wertschätzung bei Hörern wie Interpreten eingebüßt haben.
Doch auf diesen 256 Seiten geht es eher beiläufig um diese Einordnungen, Korrekturen und Nachfragen. Denn das Bilder-Buch lebt vom informativen Porträt, von Landschaftsfotografie, von Zeit-Statements und Reise-Impressionen (Haydn unternahm immerhin zwei große England-Tourneen, die ihn auch durch deutsche Städte führten), von kulturgeschichtlichen Splittern und von biografischen Zitaten. Haydn wird im Breitbandprofil aufgeblättert.
Während Rudolf Klein Leben und Werk in Beziehung setzt und dabei bemerkenswerte Ansätze publiziert (man wollte eine Musik, die nicht mehr „nur mit in die Hände gestütztem Kopf“ gehört werden konnte, sondern eine Musik, die auch weniger gelehrten Hörern Vergnügen bereitete), kümmert sich sein Autoren-Kollege Allmayer-Beck mehr um den sozialen und politischen Hintergrund – Europa in einer „klassischen“ Umbruchphase –, um Haydns demütige Stellung gegenüber Vorgesetzten und Adelshierarchien. Ungemütlich wird der Band in seinen jüngeren Bildaussagen: Der Bildhauer Gustinus Ambrosi zeigt zum Beispiel den Totenschädel der versammelten Gemeinde in der Bergkirche, bevor er ihn zu den Gebeinen im Grab legt (Überführung von Wien nach Eisenstadt 1954).
Über allem aber: die so einfühlsamen, dokumentarischen, ohne jede Raffinesse aufgenommenen Bilder des Fotografen Erich Lessing, der auf den Spuren Haydns wandelt. Er stellt den direkten Dialog mit dem 21. Jahrhundert her. In Details und ausgewählten Motiven entdeckt Lessing das menschliche Gesicht Joseph Haydns.
So rundet sich diese artifizielle und opulente Publikation im Nachwort Kleins. Da heißt es über Joseph Haydn: „Keine Beschreibung kann der Größe Haydns gerecht werden, keine Erklärung die Ursachen seiner Genialität ergründen. Seine Musik hingegen wird in steigendem Maße von den Menschen ,verstanden‘ – so wie jede Musik zu verstehen ist: als zeitlos gültige Aussage von der Möglichkeit der Kommunikation zwischen Individuen.“ Auch dieses Buch, diese Bilder, diese Auswahl an Material dient dieser zeitlos gültigen Kommunikation.
Jörg Loskill