Irmen, Hans-Josef
Joseph Haydn
Leben und Werk
Von hier aus und heute emanzipiert sich die Musik aus höfischen Fesseln. In seiner Biografie Joseph Haydn spürt Hans-Josef Irmen dem Leben und Schaffen des Komponisten im Kontext kulturhistorischer Entwicklungen nach. Die streng chronologische Erzählweise bricht Irmen dabei schon in den ersten Kapiteln auf und orientiert sich stattdessen an musikalischen Entwicklungsstadien. Stationen der Ausbildung und erste Wirkungsstätten werden abgelöst von Kapiteln über Haydns Klavierklang, Opern und Marionettenspiele, italienische Bühnenwerke, neue Streichquartette, Sinfonien für Paris oder auch die Londoner Konzerte.
Die jeweilige kompositorische Entwicklung Haydns erläutert Irmen anhand kurzer Analysen beispielhafter Werke. Dabei erhellen eingestreute Exkurse zu musiksoziologischen Phänomenen wie Status und Arbeitsweise des Dirigenten, zu Instrumentenbaulichem beispielsweise des Claviers oder zu kompositorischen Entwicklungen wie derjenigen der Sinfonie das Verständnis für die Musikwelt der Zeit.
Intermezzi zum gesellschaftspolitischen und geistesgeschichtlichen Umfeld Haydns weiten den Blick auf die Epoche aus. Fürst Nikolaus, dessen skrupellose Prunksucht sein ehrgeiziges Bauvorhaben Schloss Eszterháza Realität werden ließ und zu dessen Glanz eben auch der größte Komponist der Zeit nicht fehlen durfte, wird dabei ebenso thematisiert wie Freimaurerei und Musikästhetik oder das musikalische und gesellschaftliche Leben im London des späten 18. Jahrhunderts.
Wer jedoch bei diesen Stichworten mit einem trockenen, schwerfälligen Opus rechnet, der irrt. Trotz des massiven wissenschaftlichen Fundaments, auf dem die Biografie augenfällig basiert, gelingt dem Autor ein pointierter Zuschnitt auf das Wesentliche. Oft gereichen Irmen einige gezielte, farbige Striche, um ein lebendiges Tableau zu eröffnen, das den Leser unmittelbar in die größtmögliche Nähe zur erzählten Geschichte versetzt.
Obwohl Irmen mit seiner Biografie sicherlich nicht die Haydn-Forschung revolutioniert, geht er doch auch musikhistorischen Unklarheiten nach und lässt den Leser am Findungsprozess möglicher Lösungen teilhaben. Daneben setzt Irmen neue Akzente, so beispielsweise auf die Bedeutung der häufig nur en passant erwähnten Kindheit des Komponisten im Wagner-Handwerk. Auch gelingt die Darstellung von Haydns Spagat zwischen kompositorischer Entfaltung einerseits und Verpflichtung gegenüber seinem Fürsten andererseits und dies bei gleichzeitiger meisterlicher musikalischer Diplomatie, wie z.B. die Baryton-Kompositionen für seinen fürstlichen Auftraggeber belegen.
Die sprachliche Nuancierung, das sichere musikhistorische Urteil über wichtige Details und Zusammenhänge sowie die durchsichtige Gesamtstruktur lassen ein ausgewogenes Verhältnis von Lesbarkeit und Informationsdichte entstehen. Ein ausführlicher Anhang mit Zeittafel, Werkübersichten, Literaturverzeichnis, Personenregistern u.a. sowie ein farbiger Bildteil und die Anmutung des Buchs runden die Biografie wissenschaftlich und ästhetisch ab.
Astrid Bernicke