John Williams live in Vienna

Anne-Sophie Mutter (Violine), Wiener Philharmoniker, Ltg. John Williams

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Deutsche Grammophon 483 9887, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 10/2021 , Seite 78

Filmmusik steht schon lange auf den Konzertprogrammen renommierter Orchester. Aber wenn John Williams persönlich mit Anne-Sophie Mutter und den Wiener Philharmonikern in Wien – dem Wien, in dem sich die große Geschichte der klassischen Musik ereignet hat – gemeinsam musiziert und die DG diesen Livemitschnitt veröffentlicht, so dürfte dies einem Ritterschlag jener Gattung gleichkommen, die einst von den Verfechtern klassischer Musik so verfemt wurde.
Und die CD macht deutlich, dass sie den Rittertitel durchaus verdient hat. Denn Filmmusik, zumal die von John Williams, besitzt nicht nur ein Millionenpublikum, sie ist auch jene Gattung, in der sich Kitsch (im positiven Sinne des Wortes) und Experiment die Hand geben. Das wird gleich mit der Eröffnung ganz offensichtlich. Nach triumphalem Beginn mit der Fanfare aus Hook setzt sich das Programm mit Begegnung der dritten Art fort und entführt vorübergehend in Klangwelten freitonaler Musik, in der sich die souveräne Meisterschaft der Instrumentation von Williams unter Beweis stellt. Daher sind die Wiener Philharmoniker nicht nur geeignet, sie bringen die orchestralen Raffinessen in einer Weise zur Geltung, die faszinierend ist. Williams selbst kündigt dann persönlich und charmant die Solistin an, die „Hedwig’s Theme“ aus Harry Potter so filigran und dämonisch virtuos vorführt, als spiele die Handlung in Osteuropa. Die mit Mutters Spiel verbundenen wandernden Stereo-Effekte bringen dies noch zusätzlich zur Geltung, als würde sich der Klang mit den bewegten Gemälden und wandelnden Stiegen von Hogwarts’ Treppenhaus verbinden.
Sicher, es klingt vieles so unglaublich nach dem 19. Jahrhundert (Mendelssohn) und dem gemäßigten frühen 20. Jahrhundert. Aber es ist eben angelsächsische Musik, die ihre Wurzeln in Walton und Elgar findet, frei von den Richard Strauss’schen Expressiv-Streichern in höchsten Höhen – hier ist alles auf Wohlklang und leicht Verdauliches abgestimmt, ein aufrüttelndes Schockerlebnis ist in Williams’ ausgewogenen Kompositionen kaum zu finden. Dafür aber pittoresk geistreiche und überraschende Wendungen in Melodie, Harmonik und Klanggebung. Darum schließlich geht es wohl hauptsächlich, wenn sich Filmmusik im Konzertsaal wiederfindet. Nicht nur, dass sie an die Filmorte entführt, die das Publikum träumen lassen; was sie letztlich beim konzentrierten Hören zu sagen hat, entscheidet über die Veranstaltung.
Mit einem gewitzten Kunstgriff ragt diese Doppel-CD zudem weit über das rein Filmmusikalische hinaus, indem Anne-Sophie Mutter sehr prominent ins Programm gerückt wurde: Die Sätze aus Sabrina und Far and Away auf CD 1 sowie Tintin, Schindlers Liste und Indiana Jones auf CD 2 verbinden sich zu veritablen Violinkonzerten.
So besitzt diese CD beides: den Hit-Charakter erlesener Filmmusik, wo auch Star Wars nicht zu kurz kommt, und die solistischen Abenteuer atemberaubender Virtuosität. Alles eingebettet in das glasklare Spiel der Wiener Philharmoniker.
Steffen A. Schmidt