Kemper, Peter

John Coltrane

Biographie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Reclam
erschienen in: das Orchester 11/2017 , Seite 58

„Es gibt wohl keinen Jazzmusiker im 20. Jahrhundert, der in so kurzer Zeit eine so rasante und zugleich radikale künstlerische Entwicklung durchlaufen hat wie John Coltrane“, schreibt Peter Kemper in der neuen Biografie des Saxofonisten, die zu dessen 50. Todestag am 17. Juli erschienen ist. Als der Gigant starb, einer der einflussreichsten Jazzmusiker der Geschichte, war im Jazz nichts mehr wie zuvor. Der Tod dieser Integrationsfigur verschiedener musikalischer Lager löste lähmendes Entsetzen in der Jazzszene aus.
Der Autor, langjähriger Leiter des Abendstudios beim Hessischen Rundfunk, geht dem Zauber in Col­tranes Musik nach, fragt nach den Triebkräften hinter seinen Sounds, Explosionen und den Mysterien seines Klangs. Schließlich stellt sich auch die Frage nach dem Menschen hinter der Musik. Radikal neue Erkenntnisse über den Saxofonisten sind nicht zu erwarten, zu zahlreich sind seine Biografien, Studien liegen ebenfalls zuhauf vor.
In dieser neuen Biografie, in der des Protagonisten Lebensweg und Schaffensphasen klassisch angelegt sind, geht es um eine eigene Sichtweise. Sie orientiert sich am einleitenden Satz, der Kempers Vorgehen bestimmt: In Coltranes „oft klagendem Ton schwang immer ein Versprechen auf nach etwas Unbekanntem, Geheimnisvollen, der trotz seiner Konturen verlockender schien als die gängigen Jazz-Klischees“. Kemper will wissen und dem Leser näher bringen, warum dieser Klang ein Rätsel bleibt, über sich hinausweist und berührt.
Die Chronologie der musikalischen Aktivitäten, von Coltranes ersten Auftritten mit Tanz- und Militärkapellen 1945 über die ersten Aufnahmen mit Dizzy Gillespie vier Jahre später über das legendäre Miles Davis Quintet („Fast alles, was ich probieren wollte, wurde willkommen geheißen“) bis zu den ersten eigenen Sessions vom 31. Mai 1957 und den letzten Aufnahmen 1967, geben darüber nicht unbedingt Aufschluss. Zu Recht weist Kemper darauf hin, dass Coltrane „ein Antreiber und ein Getriebener zugleich“ war. Die Dringlichkeit in Charlie Parkers Spiel, den er einst live hörte, wurde für ihn zu einem Leitmotiv. Von Heroin und Alkohol fast aufgezehrt meisterte Coltrane die Umkehr. „Im Jahr 1957 durchlebte ich dank der Gnade Gottes eine spirituelle Erweckung, die mich zu einem reicheren, erfüllteren, produktiveren Leben führte“, schrieb Coltrane später anlässlich seiner 1964 erschienenen, vierteiligen Suite A Love Supreme, der berühmtesten Session der Jazzgeschichte.
In deren Folge setzte sich Coltrane verstärkt mit dem musikalischen Material auseinander, seinem Kampf mit Instrument und Mundstück, seinem Dauerlauf durch die Harmonien bis zur Erschöpfung.
Peter Kempers Biografie, flüssig geschrieben und auch für Laien nachvollziehbar, ragt heraus, weil sie einen anderen Ansatz wagt. Coltranes Streben nach Wahrhaftigkeit durch das Medium des Klangs steht im Mittelpunkt, zieht den Leser stets an. Freilich gesteht der Autor ein, dass die Faszinationskraft dieses Mannes („ruhig, in sich gekehrt, ein bisschen schüchtern“) „nicht vollständig enträtselt ist“.Reiner Kobe