Johannes Brahms
The Symphonies
Staatskapelle Berlin, Ltg. Daniel Barenboim; 4 CDs
Sieben Jahre dauerte der Umbau der Staatsoper Unter den Linden in Berlin – länger und teurer als geplant: kein überraschendes Phänomen, denkt man an den Flughafen Berlin-Brandenburg oder die Hamburger Elbphilharmonie. Dass ein Teil des alten Opernmagazins der Barenboim-Said-Akademie überlassen wurde, erwies sich allerdings als Glücksfall.
Neben der Musikausbildungsstätte, in der Musiker aus Israel und den arabischen Ländern friedlich nebeneinander musizieren, wurde auch ein neuer Kammermusiksaal, der Pierre Boulez Saal, realisiert. Im März 2017 wurde der Konzertraum eröffnet, der nicht nur für die Musikhochschule intern und für offizielle Konzerte, sondern auch für Aufnahmezwecke genutzt wird. So spielte die Staatskapelle Berlin, die ja zugleich Konzert- und Opernorchester ist, im Oktober 2017 unter ihrem langjährigen Chefdirigenten Daniel Barenboim im Boulez-Saal die Sinfonien von Johannes Brahms ein.
Akustisch besteht der Saal diese Feuertaufe, denn der vom Aufnahmeteam eingefangene Klang ist rund und voluminös, gleichzeitig, bei Solostellen, transparent. Diese Sounddisposition kommt Barenboim in seinem neuen Brahms-Zyklus – einen ersten hatte er mit dem Chicago Symphony Orchestra 1993 eingespielt, 2006 veröffentlicht – entgegen: Sein Orchesterklang ist von satten Streichern mit blühenden Kantilenen, insbesondere in den langsamen Sätzen, und von glutvoller Wärme in Celli und Bässen geprägt.
Immer wieder betören die exquisiten Holzbläser, seien es die ersten Stimmen von Oboe, Flöte oder Klarinette wie auch das Holzbläserregister im Zusammenklang: Die Einleitungstakte in den Andante-Sätzen der dritten und vierten Sinfonie zählen zu den Höhepunkten der Gesamteinspielung. Doch auch die samtene Grundierung und die exponierten Soli der Horngruppe seien herausgestellt. Sehr schön gelingt das Verzahnen der Stimmen, das Herauswachsen aus dem Tutti zu führenden Linien, das organische Gegeneinanderstellen von Orchestergruppen – die Staatskapelle zeigt sich hier auf höchstem Niveau.
Was in Barenboims Interpretation neben dem mehr schlanken denn opulenten Sound, neben einer geradezu kammermusikalischen Grundeinstellung auffällt: Die Tempi sind gemessen, der Duktus eher gewichtig denn leidenschaftlich vorwärtstreibend. Trotzdem zerfällt nichts. Der Dirigent musiziert die sinfonischen Blöcke zwar fein aus, hat aber, etwa im Einleitungssatz der vierten Sinfonie, immer den großen Spannungsbogen im Blick. Nur gelegentlich wünscht man sich mehr passionato, weniger sostenuto, Dies sind jedoch nur wenige Momente einer insgesamt überzeugenden Gesamteinspielung.
Es ist keine gleißende Hochglanz-Produktion wie bei dem Pendant aus Chicago. Aber trotzdem: Barenboim präsentiert mit der Staatskapelle Berlin einen detailreichen Brahms mit kultiviertem Klang, präzisem Rhythmus und bezwingender Formdisposition.
Wolfgang Birtel