Johannes Brahms

Symphony No. 2/Haydn-Variations

WDR Sinfonieorchester Köln, Ltg. Jukka-Pekka Saraste

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil/Edition Günter Hänssler
erschienen in: das Orchester 02/2018 , Seite 65

Werken wie der 2. Sinfonie von Johannes Brahms ist die zweifelhafte Ehre widerfahren, den Status der Aufführungspermanenz zu erreichen. Neben dem Gewinn ständigen Aufgeführtwerdens bedeutet das auch Originalitätsverlust, Geläufigkeit und Sättigungsekel. Während es bei den meisten anderen Komponisten so etwas wie Konjunkturzyklen gibt, die Pausen einer Hör-Fastenzeit ermöglichen, scheint es in Hinblick auf gerade diese Brahms-Sinfonie um das Phänomen ewiger Gegenwärtigkeit zu gehen.
Die vorliegende Aufnahme könnte es also nicht leicht haben, Aufmerksamkeit zu erwecken. Immerhin, der erste Eindruck nimmt eine sehr gute Stimmendisposition wahr, eine geortete Räumlichkeit mit einer Tiefenstaffelung, die auch die entfernteren musikalischen Positionierungen ohne Verlust wahrnehmbar macht. Der Zuhörer kann die Sinfonie so als einen raumöffnenden und raumschließenden Prozess erleben. Was das Tempo anbetrifft, bewegt man sich auf durchaus bekannten Bahnen mit Tendenz hin zu den lebhafteren Ablaufsdramaturgien der Brahms-Interpretation.
Die Bläsermischungen sind sehr farbig und ohne Scharfrandigkeit. Das Streicher-Tutti ist geschlossen mit Gewichtung in den dunklen Timbres und trotz einer gewissen Größe sehr lebhaft artikuliert – gleichsam in einer „Lieder ohne Worte“-Rhetorik. Wobei extrovertierte, akklamative Diktion durchaus nicht gescheut wird. Eine romantische Matrix, in jedem Moment gegenwärtig bei plastischer, offensiver, zumindest immer sich ausstellender Klanglichkeit.
Die fesselndsten Eindrücke bietet der 2. Satz, der als variatives Durchführungsfeld aufgewertet wird und enorm dicht wirkt. Im Allegretto grazioso sind die Wechsel zwischen rhythmisch pointierten und idyllisch gehaltenen Stimmungen bestens ausbalanciert. Im Finale zeigt man, was man auf der Rennstrecke alles kann, nämlich ebenso rasend schnell Temperatur und Pulsschlag nach oben und unten drücken.
Wie steht die Mitte Juli 2017 in der Kölner Philharmonie entstandene und vom WDR produzierte Aufnahme im Kontext der medialen Allgegenwart ihres Aufführungsgegenstands? Sie lässt sich eigentlich kaum darauf ein, denn sie versucht nicht, die etablierte Permanenzdarstellung entschieden zu unterlaufen und sieht von Konterkarierungen, vom gewollten Anderssein ab. Produktive Ignoranz wäre vielleicht das richtige Wort dafür.
Einen exzellenten Eindruck machen die thematisch sinnvoll nach der Sinfonie präsentierten Haydn-Variationen. Das Konzept der entwickelnden Variation wird auf plastische Weise vermittelt und mit einem Höchstmaß an Charakteristik als das eigentliche Brahms’sche Element verdeutlich. Variation als lineare Permananzdurchführung mit ebenso variabilen Bausteinen sinfonischen Ausdrucks.
Bernhard Uske

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