Reiner Marquard/Meinrad Walter
Johann Sebastian Bach. Matthäus-Passion
Reihe „Wort/Werk/Wirkung“
Bücher zur „großen Passion“ von Johann Sebastian Bach, der nach dem Evangelisten Matthäus, gibt es eine ganze Reihe. Natürlich ist auch die musikwissenschaftliche Bibliografie zu der Passion immens, von Tonträgern ganz zu schweigen, in deren Booklets auch immer wieder bemerkenswerte Beiträge zu finden sind. Kurzum: Die Literatur zu diesem epochalen Werk der Musik-, ja der Menschheitsgeschichte ist gewal- tig. Es gibt ja auch viel zu bedenken bei dieser Vertonung der Leidensgeschichte Jesu – und das kann bei solch textbezogener Musik ja nicht nur Aspekte von Harmonielehre und Tonsatz betreffen. Textbezug heißt bei Bachs geistlichen Vokalwerken immer Bibelbezug, also spielt zum Verständnis gerade auch der Matthäuspassion die lutherische Theologie der Zeit eine wesentliche Rolle.
Der vorliegende Band wurde deshalb nicht zufällig von der Deutschen Bibelgesellschaft und dem Stuttgarter Carus-Verlag in deren neuer Reihe „Wort/Werk/Wirkung“ vorgelegt. In ansprechender äußerer Aufmachung mit vielen Abbildungen werden mit diesen Werkmonografien vielfältige Zwecke erfüllt. Sie stellen das Werk vor, lassen es auf einer MP3-CD in einer vorzüglichen neuen Aufnahme aus dem Carus-Katalog hören, bringen umfangreiche Dokumente zur Rezeptionsgeschichte – und einen eingehenden Beitrag zur Botschaft der Werks.
Der katholische Theologe und Musikwissenschaftler Meinrad Wal- ter hat in den vergangenen Jahren schon eine ganze Reihe nachhaltiger und vor allem verständlicher Beiträge zu den großen geistlichen Werken der Musikgeschichte, vor allem denen von Bach, verfasst. Er ist der Herausgeber der Reihe und des vorliegenden Bandes. Dieser bie- tet eine kompakte, sehr informative und lebendig geschriebene Werkeinführung und zeichnet mit vielen Zitaten die Wirkungsgeschichte der Matthäuspassion nach. Dabei kommen nicht nur Musiker zu Wort, sondern auch Schriftsteller, Philosophen, Theologen oder Politiker.
Viel Raum nehmen Dokumente zur Berliner Wiederaufführung der Passion 1829 unter Mendelssohn ein. Aber auch Aussagen von Choreograf John Neumeier und Regisseur Peter Sellars, denen bedeutende theatralische Deutungen des Werks gelungen sind, fehlen nicht.
Im Zentrum der Publikation aber steht unter dem Titel „Das gehet meiner Seele nah“ eine biblisch-theologische Erschließung des Lib- rettos des Freiburger Theologen Rei- ner Marquard. Der sehr substanziel- le und erhellende Text erfüllt eine für das Verständnis dieses Werks höchst wichtige Aufgabe: Er macht mit der geistlichen Gedankenwelt des Leipzigs der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vertraut, die uns heute fremd ist, ohne deren Kenntnis aber Bachs Kirchenmusik und nicht zuletzt ein Werk wie die Matthäuspassion nicht angemessen zu begreifen ist.
Die CD-Aufnahme stammt von Frieder Bernius mit seinem Kammerchor und Barockorchester Stuttgart und zählt zu den besten Interpretationen aus jüngster Zeit – vor allem durch ihre Tiefe im Ausdruck, was gut zur Gesamtintention dieses lohnenden Buchs passt.
Karl Georg Berg