Schröder, Dorothea

Johann Sebastian Bach

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C.H. Beck, München 2012
erschienen in: das Orchester 12/2012 , Seite 63

Über Bachs Leben kann man sich im deutschsprachigen Raum mit Hilfe einiger Hundert (lieferbarer!), international sogar einiger Tausend Titel informieren. Wer sich desungeachtet daran macht, dieser Palette eine weitere biografische Darstellung hinzuzufügen, der ist entweder sehr mutig, hat etwas absolut Neues zu bieten oder bietet das wenige, das überhaupt bekannt ist, in einer Neuinszenierung an, ist also mehr „Regisseur“ als Autor.
Dorothea Schröders Büchlein wendet sich zunächst einmal an den Laien. Es ist erfreulich unakademisch geschrieben, und wo der Laie vielleicht dann doch Verständnisprobleme haben könnte, da hilft ihm die Autorin am Ende des Bändchens mit einem Glossar weiter.
Tatsächlich hat auch Schröder nicht wirklich Neues zu bieten – es kommt eben leider auch nur sehr selten vor, dass ein Werk Bachs der Verschollenheit entrissen werden kann oder dass gar neue und unbekannte biografische Details auftauchen. Aber wenn schon nichts Neues, so doch das eine oder andere Überraschende – zumindest für solche Leser, die sich eben nicht tagtäglich mit dem Thomaskantor auseinandersetzen. So dürfen wir beispielsweise Bachs mit Abstand berühmtestes Orgelwerk – die Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 – nun doch wieder mit größerer Wahrscheinlichkeit ihm zuschreiben, nachdem es seit Anfang der 1970er Jahre Zweifel an seiner Urheberschaft gegeben hat. Oder: Die in unzähligen
Biografien wohl einfach nur nachgeplapperte Vermutung, jene „frembde Jungfer“, die Bach einst in Arnstadt verbotenerweise auf die Orgelempore schmuggelte, sei seine Cousine und spätere Ehefrau Maria Barbara gewesen, weiß Schröder zwar nicht mit neuen Fakten, dafür aber mit schlichter Logik zu widerlegen.
Auch mit dem immer wieder kolportierten Vorurteil, Bach „habe die neue Welt der Aufklärungszeit nicht mehr verstanden“, räumt die Autorin auf: “Das Gegenteil war der Fall: Deutlicher als viele andere erkannte er, wohin die musikalische Entwicklung ging, reagierte aber weder mit Verbitterung noch mit Rückzug in die Isolation.”
Angenehm an dem Buch ist, dass die Verfasserin ihre Rezipienten nicht mit einem Allwissenheitsfluidum einnebelt. Sie bekennt sich zu den Überlieferungslücken, wie wir sie leider sowohl in Bachs Biografie als auch in seinem Werk allenthalben vorfinden, und lässt sich auch nicht zu Spekulationen über Bachs “wahres” Leben hinreißen, das darzustellen sich gerade in jüngerer Zeit leider der eine oder andere Autor bemüßigt fühlte. In ihrem Vorwort gibt sie daher auch offen zu: “Niemand kann über die Distanz von drei Jahrhunderten hinweg die Frage beantworten, was für ein Mensch Bach war.” Angesichts dieser Unmöglichkeit ist Dorothea Schröder eine recht “lebenspralle” und obendrein lesenswerte Darstellung geglückt, der zumindest unter den Kompendiumformaten ein solider Spitzenplatz zukommt.
Friedemann Kluge

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