Claudia Behn

Jena: Schwungvolle Musikgeschichte

Alexej Gerassimez im Ausklang der Reihe „Der Klang von Jena No. 1: Evolution der Musik“

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 01/2023 , Seite 61

Energetisch und hochvirtuos zeigte sich der neue Artist in Residence der Jenaer Philharmonie, Multiperkussionist Alexej Gerassimez, am 16. Oktober im Volkshaus in Jena. Gerassimez wurde 1987 in Essen in eine Musikfamilie geboren – auch seine Brüder Nicolai und Wassily sind Profimusiker – und studierte Schlagwerk bei Christian Roderburg und Stefan Hüge an der Hochschule für Musik in Köln und der Hochschule für Musik Hanns Eisler sowie bei Peter Sadlo an der Hochschule für Musik und Theater München. Er ist Preisträger zahlreicher Wettbewerbe; so gewann er 2016 den Musikpreis des Verbandes der Deutschen Konzertdirektoren. Bereits 2019 war er Artist in Residence beim Jazzfestival in Viersen. Seit 2017 ist er Professor für Schlagzeug an der Hochschule für Musik und Theater in München sowie Gastdozent am Salzburger Mozarteum und dem Birmingham Conservatoire. Gerassimez’ Repertoire ist weit gefasst, es reicht von Klassik bis zu Neuer Musik, Minimal Music, Jazz bis zu eigenen Kompositionen, wie auch im Jenaer Konzert eindrucksvoll hörbar wurde. In Jena ist Gerassimez aber längst kein Unbekannter mehr, denn er spielte hier schon 2019 zum Thementag „Schlagzeug“ Avner Dormans Frozen in Time.
Schon der Rahmen der Reihe „Der Klang von Jena No. 1: Evolution der Musik“, deren letztes Konzert nun zu hören war, versprach vielfältige Höreindrücke auf einem Gang durch die Musikgeschichte. Im letzten Konzert erklang Musik der Postmoderne mit Bezug zu aktuellen Gegenwartsfragen. Schwungvoll gelang der Einstieg in die Klangwelten des chinesischen Komponisten Tan Dun (geb. 1957), den Gerassimez persönlich kennt, mit seinem Werk Tears of Nature (2012) für Perkussion und Orchester, das stellenweise sehr an Ravels Bolero erinnert. Ein Werk über den Urklang der Steine, von drohenden Paukenschlägen bis zu zarten melancholischen Marimbaklängen. Dabei steht jeder der drei Sätze für ein katastrophales Ereignis dieses Jahrhunderts und gemahnt an den respektvollen Umgang mit der Natur.
Schon bei diesem fulminanten Auftakt zeigte Gerassimez sein ganzes, umfangreiches Können in allen Nuancen auf vielen verschiedenen Perkussionsinstrumenten. Von hellen, zarten Klängen am Glockenspiel bis zu energischen, harten Lauten an der Pauke bewies er sein breites Spektrum. In rasender Geschwindigkeit wechselte er die Instrumente, die Trommelschlägel flogen nur so durch die Luft – ein Spiel voll bewundernswerter Virtuosität.
Ein Foxtrott für Orchester in schwungvoll-kreisenden Bewegungen zeigte uns der US-amerikanische Komponist der Minimal Music John Adams (geb. 1947) mit „The Chairman Dances“ (1985) aus seiner Oper Nixon in China. Darin setzt sich Adams satirisch mit modernen Helden auseinander. Ein äußerst rhythmisches Werk, geprägt von ständig wiederkehrenden Rhythmus­patterns, die durch verschiedene Orchesterstimmen laufen, melodische Passagen mit filmmusikalischen Elementen. Auch hier konnte Gerassimez voll überzeugen und die Begeisterung des anwesenden Publikums erringen. Als brillanter Abschluss erklangen Leonard Bernsteins Symphonische Tänze aus seinem Musical West Side Story (1957) als Rückgriff auf ein dem Publikum bekanntes, populäres und spritziges Werk, das aber gleichzeitig im shakespearschen Sujet um Romeo und Julia ethnische Konflikte und soziale Ungerechtigkeit aufzeigt. Hier konnte Gerassimez seine Spielfreude in Jazzanklängen, groovendem Rhythmus und Melodienreichtum voll ausleben.
Nicht minder begeisterte die Jenaer Philharmonie unter Leitung von Christoph Altstaedt (Gast), der es verstand, aus dem Orchester Höchst­leistungen herauszuholen. Ein faszinierender Abend, dank eines virtuosen, kreativen und höchst intelligenten Musikers, Alexej Gerassimez, der mit begeisternder Energie fulminante Farbspektren erzeugte.