Werke von Alexander Rosenblatt, Astor Piazzolla und anderen

Jazzissimo

Matthias Well (Violine), Lilian Akopova (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 5/2023 , Seite 73

Sorry: Auf Jazzissimo gibt es keinen Jazz. Glückwunsch: Jazzissimo enthält wunderschöne Musik, gespielt von einem Duo, das hörbar Spaß an den acht Werken hat, die sich den Kategorien von Jazz, Klassik, Volksmusik, Pop und so weiter entziehen. Am ehesten passt noch „Salonmusik“, aber 2022 existieren die biedermeierlichen Salons nicht mehr, in denen – vor der Trivialisierung der Salonmusik zur Hausmusik von Laien – Beethovens Sonaten, Franz Liszts Transkriptionen, kleinere Stücke von Frédéric Chopin, Robert Schumann, Lieder von Hugo Wolf und viele andere, bis heute als hochwertig eingestufte Werke von einem privaten Kreis von Musikfreund:innen genossen wurden.
Zwischen der ursprünglichen und der späteren, unterhaltsameren Version der Salonmusik bewegen sich der Geiger Matthias Well und die Pianistin Lilian Akopova mit der Jazzissimo-CD. Sie geben dem Publikum ein gerüttelt Maß an Schmelz und Seele, vor allem aber brillieren sie mit wohlgesetzten Duetten. Da jubiliert und schmachtet die Geige in Alexander Rosenblatts 1994 nach Bizet-Motiven entstandener Carmen Fantasy, und da übertragen sie in Dmitriy Varelas Arrangement von Astor Piazzollas Nightclub 1960 den hohen konzertanten Anspruch des Argentiniers in ein emotionales Zwiegespräch zwischen Lebensfreude und Melancholie. Mit der Violinsonate No. 2 von Maurice Ravel folgt eine Originalkomposition. In deren zweitem Satz klingt an, was ein Impressionist unter Blues versteht: eine stark akzentuierte Klavierbasis, über die sich sprunghafte Melodien erheben.
Zurück zum Jazz-Missverständnis: George Gershwins Porgy and Bess galt zeitweilig als „Jazzoper“ – wohl weil manche Motive vage an Jazz und Blues erinnern. Jascha Heifetz, ein Geiger mit einer Neigung zum Populären, arrangierte die Arie My Man’s Gone Now als virtuoses, zuckrig melancholisches Kabinettstückchen. Das bleibt es auch in Wells Interpretation, wenngleich Well weniger Schmelz und Vibrato in seinen Ton legt als Heifetz in seine Aufnahmen von 1945 und 1965. Einige Momente in Kaleidoscope, das Vladislav Cojocaru 2020 eigens für das Duo komponiert hatte, wecken Erinnerungen an die Jazz-Kammermusik des Pianisten Chick Corea und des Vibrafonisten Gary Burton, ohne Jazz zu werden. Was nicht nötig ist: Vor allem die zarte Melodie des Finales rührt das Herz. Und was ist mit den Ragtime-Anklängen in Darius Milhauds Fantasie Le boeuf sur le toit von 1919? Er greift eher die Haltung der von schwarzen Pianisten als Pendant zu den Capricen, Etüden und Impromptus verfassten frühen, notengetreu zu spielenden Rags auf und überführt diese in eine Klangwelt nahe den ungarischen Csárdás. Bleibt ein einfaches Fazit: Für die abwechslungsreich, mit Verve und Präzision eingespielten Titel einerseits jazzisiNO und andererseits Bravissimo.

Werner Stiefele