Friedrich Gulda
Jazz. Sinfonie in G/Heidelberger Jazztage 1971
Friedrich Gulda (Klavier), Radio- Orchester Stuttgart, Südfunk-Tanzorchester, Ltg. Friedrich Gulda
Ob Friedrich Guldas feinfühligen Mozart- und Beethoveninterpretationen wird oft vergessen, dass noch weitere Seelen in der Brust des Österreichers wohnten: Fluxus, Happening, skurrile Songs, Free Jazz, eine Liebe zum Jazz-Klaviertrio und ein Faible für Jazz-Bigbands stehen unter anderem für den Nicht-Klassiker Gulda. Eine Perle unter seinen Werken für Bigband und Orchester wurde nun im Rahmen der Recherche für eine Gulda-Edition in den Archiven des SWR entdeckt: Seine „Sinfonie in G“, die er am 20. November 1970 als Dirigent des Radio-Orchesters Stuttgart und des Südfunk-Tanzorchester aufführte, sowie sein Konzert vom 6. Juni 1971 bei den Heidelberger Jazztagen. Beides sind Pretiosen des anderen, nicht-klassischen Gulda, der sich im Bereich der sogenannten U-Musik wohlfühlte und diese so ernst nahm wie die E-Musik.
Die 1970 uraufgeführte Sinfonie entspricht den damaligen Träumen von einer Musik, die – wie es in den 1950ern der Solohornist der Metropolitan Opera und Jazzmusiker Gunther Schuller prognostiziert hatte – Elemente aus Jazz und Klassik vereint. Genau diese Fusion geht Gulda ein, indem er beispielsweise in klassischer Tradition für den ersten Satz die Sonatensatzform verwendet. Das einleitende Klangerlebnis erinnert stellenweise an Film-, Krimi- und Showmusik, wobei der Spannungsbogen von lieblichen Passagen bis zu Powerexplosionen reicht. Der zweite Satz entwickelt sich aus einer lyrischen, semi-romantischen Orchestereinleitung, bis eine Elektrogitarre den schleichenden Übergang zum expressiven Bigbandfeature markiert, auf welches das Orchester und der Jazz-Kontrabassist mit Liebesfilmromantik antworten. Diese greift der dritte Satz auf, bevor Bigband und Orchester gemeinsam eine Solokadenz der Violine wuchtvoll und mit Anspielungen auf Krimi-Titelmelodien ablösen und eine E-Gitarre und ein unbegleitetes Schlagzeugsolo auch den damals aktuellen Rocktrends huldigen: Ein furioses Finale für ein Werk voller Lebens- und Musizierlust.
Ein halbes Jahr später zeigte Guldas Soloauftritt bei den Heidelberger Jazztagen eine weitere Facette seines Horizonts. Vier Eigenkompositionen und eine Improvisation über eine Etüde des österreichischen Jazzpianisten Fritz Pauer sind auf der CD enthalten. In der Etüde legt Gulda über ein wie in der Minimal-Music durchgehaltenes Ostinato der linken Hand mit der rechten einen faszinierend bunten Melodienreigen. Die eigenen Stücke Entrée und Variations verbinden die Traditionslinie der swingenden amerikanischen Jazzpianisten mit romantischen und impressionistischen Momenten, und die „Nr. IV“ aus seinem Opus Pay Piano Play bringt die Leichtigkeit von Barpiano, Stridepiano und deren europäischer Adaptionen zusammen. Das eigene Prelude And Fugue wird dann zum ebenso lockeren wie grandiosen Finale. Beide Aufnahmen unterstreichen, wie souverän sich Friedrich Gulda im weiten Feld der Musik bewegte und dass er zu Recht keine Grenzen der Genres akzeptierte.
Werner Stiefele