Miles, Andy
Jazz at the Philharmonic
Es ist bedauernswert, dass die Klarinette im Jazz gegenwärtig ein Schattendasein führt, wurde sie doch nach ihrer Blütezeit mit Benny Goodman weitgehend vom Saxofon verdrängt. Der junge Solist Andy Miles ist sowohl Jazz- als auch klassischer Klarinettist, hier legt er eine CD vor mit den Duisburger Philharmonikern, ein Mitschnitt eines Livekonzerts vom Februar 2008.
Das Programm enthält sowohl Stücke für Solo-Karinette und Orchester als auch rein Orchestrales, hierbei Sinfonisches im Jazz-Idiom als auch Arrangements von Jazz-Titeln. Gemäß der Crossover-Mode lies sich Miles Ausschnitte aus Vivaldis Quattro Stagioni bearbeiten. Beim Frühling passt sich sein gerade in der Höhe feiner und weicher Ton gut der Solovioline an, des Weiteren tauchen hier Swing, Bebop und ein Jazz-Waltz auf. Es hängt vom Geschmack des Hörers ab, ob solcherart Verquickung gefällt; ein Jazz-Hörer wird darüber vermutlich kaum an das Original herangeführt werden, ein Klassik-Hörer braucht die Bearbeitung nicht, es sei denn, ihn interessiert, wie barockes Material stilistisch umgewandelt werden kann.
In Jorge Calandrellis Metamorphosen über Carl Philipp Emanuel Bachs Solfeggio bleiben Original und Jazz-Part für den Zuhörer recht unvermittelt nebeneinander stehen. Rolf Kühn gelingt in Interchange with Different Movements der Spagat: Beginnend mit einer melancholischen Ballade im Sinne der klassischen Moderne, wechselt er zum Modern Jazz und kommt am Ende zu einer Synthese. Miles zeigt hier seine Fähigkeit des schnellen Umsteigens zwischen Klassik und Jazz in Tongebung, Phrasierung und Stilistik. Artie Shaw, neben Goodman einer der Großen des Swing, schrieb ein Clarinet Concerto, im Wesentlichen ein Blues, der Raum für freie Improvisationen liefert und das Orchester kaum braucht; eine sehr gut besetzte Jazzband sorgt für die nötige Grundierung und weitere Soli. Das hierin enthaltene Klarinetten-Solo zum Drumset gemahnt an Sing, sing, sing.
Miles spielt technisch ausgezeichnet, besitzt einen vollen, zugleich flexiblen Ton und eine überzeugende Phrasierung. Die Duisburger Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Jonathan Darlington begleiten umsichtig und zeigen z.B. in den ausgewählten drei der Divertimenti von Bernstein rhythmische Präzision. Insgesamt ist die Aufnahmequalität gut, zuweilen klingen die Bläser etwas dumpf. Das Booklet ist aufwändig gestaltet, es ist auf doppelte Größe aufklappbar, um so Fotos besser präsentieren zu können, die liner notes sind informativ (kleine Fehler: Kühns Stück ist kein Doppelkonzert, “Sennets and tuckets” lautet der Titel bei Bernstein). Offen bleibt (das gilt generell), ob Jazz die große Besetzung benötigt.
Miles bringt zurzeit vier unterschiedliche CDs zugleich auf den Markt, u.a. mit seinem Bläsertrio und dem Auryn-Quartett, u.a. mit Bach und Piazzolla. Da der CD-Markt heute für einen Künstler nicht mehr die Basis liefert, bleibt zu hoffen, dass dieser vielseitige Solist sich im Konzertbetrieb künftig gut behaupten kann.
Christian Kuntze-Krakau