Janine Jansen – Falling for Stradivari

12 Legendary Violins played by one of the greatest violinists of our time. Award-winning Documentary and Recital by Gerald Fox

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Arthaus
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 71

Dass zeitgenössische Interpretinnen und Interpreten auf historischen Violinen musizieren, um das heutige Publikum mit deren besonderen Klangeigenschaften vertraut zu machen, ist nichts Neues. Bereits 1963 stellte Ruggiero Ricci auf der LP The Glory of Cremona insgesamt 15 Instrumente u.a. von Andrea und Nicolò Amati, Antonio Stradivari, Carlo Bergonzi und Giuseppe Guarneri einander gegenüber und gab damit einen generationenübergreifenden Einblick in die Entwicklung des norditalienischen Geigenbaus. Peter Sheppard Skærved wiederum widmete jeden der bislang vier Teile seiner seit 2015 erscheinenden CD-Edition The Great Violins einem Instrument von Amati oder Stradivari.
Auch im vorliegenden Film geht es um den Vergleich von Instrumenten: Ausgangspunkt ist eine Einladung an die Geigerin Janine Jansen, auf zwölf der weltbekanntesten Violinen Stradivaris zu spielen und für eine CD-Produktion, die einen Katalog der noch existierenden Instrumente begleiten sollte, die passenden Musiken auszuwählen. Genau an dieser Stelle macht Falling vor Stradivari den entscheidenden Unterschied zu anderen Projekten: Der Film dokumentiert Jansens akribisches Vorgehen und zeigt, wie sie sich den außergewöhnlichen Violinen nähert und welche Hindernisse sie überwindet, um den Charakter des jeweiligen Instruments für sich zu erschließen. Dass dies nicht immer ganz einfach ist und gelegentlich viel Fingerspitzengefühl erfordert, erfährt man beispielsweise, wenn sich der Klang nicht so entfaltet, wie die Geigerin sich dies vorstellt, oder wenn die Ansprache eines Inst­ruments sich gegen bestimmte Ideen zu sträuben scheint.
Immer wieder erleben wir Jansen beim Ausprobieren feinster Ausdrucksnuancen und können den Diskussionen (etwa mit ihrem Klavierbegleiter Antonio Pappano) folgen, die auf eine den Möglichkeiten der unterschiedlichen Stradivaris adäquate Auswahl von Musik zielen. Unter der Prämisse, dass das Geheimnis des Klangs nicht nur mit den Instrumenten selbst, sondern auch mit den künstlerischen Persönlichkeiten ihrer einstigen Besitzer verknüpft ist, rückt dabei jene Musik in den Fokus, die von berühmten Geigern auf den entsprechenden Stradivaris gespielt oder gar – wie im Falle von Henri Vieuxtemps und Fritz Kreisler – speziell für einzelne dieser Instrumente komponiert wurde. All dies hat Filmemacher Gerald Fox mit zahlreichen Passagen angereichert, die aus der Sicht von Experten die Besonderheiten der Violinen und ihre Stellung in der Geschichte des Geigenbaus sowie in der stilistischen Entwicklung Stradivaris umreißen.
Auch wenn der Film zu Beginn ein wenig ziellos wirkt, bevor er in seine Thematik hineinfindet, erweist er sich als aufschlussreiches Dokument, das – ergänzt um die 50-minütige Präsentation der zwölf ausgewählten Kompositionen – viel über die Besonderheiten und den Charakter historischer Violinen erzählt.
Stefan Drees