Wolfgang Rihm

Jakob Lenz. Kammeroper in 13 Bildern

Joachim Goltz (Bariton), Patrick Zielke (Bass), Raphael Wittmer ­(Tenor), Josefin Feiler (Sopran), Marie-Belle Sandis (Alt), Maria ­Polanska (Alt), Mitglieder des Kinderchors am Nationaltheater, ­Nationaltheater-Orchester Mannheim, Ltg. Franck Ollu

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Oehms Classics
erschienen in: das Orchester 5/2025 , Seite 73

Diese CD ist eine Gedenkgabe für den in Ettlingen am 27. Juli 2024 mit 72 Jahren verstorbenen Komponisten Wolfgang Rihm. Mit der Uraufführung seiner Kammeroper Jakob Lenz nach Georg Büchners Novelle Lenz (erschienen 1839) gelang Rihm am 8. März 1979 in der Opera stabile, der Studiobühne der Staatsoper Hamburg, sein größter Erfolg. Seit über 45 Jahren ist Jakob Lenz in kleinen und großen Spielräumen eine der meistgespielten Opern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Dirigent Franck Ollu stand neben der Mannheimer Premiere am 21. Dezember 2021, bei der dieser Live-Mitschnitt entstand, bereits für Jakob-Lenz-Produktionen in Brüssel, Stuttgart, Berlin und Aix-en-Provence unter Vertrag. Calixto Bieito, bei den Mannheimer Proben von seiner Faszination für den Sturm-und-Drang-Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) und dessen bizarr-sarkastisches Vermächtnis schwärmend, ist nicht der einzige Regisseur mit tief empfundenem Enthusiasmus für Rihms Oper.
Die Website des Nationaltheaters Mannheim zitiert Rihm, wie er über sein Lebenswerk als Alternative zum politischen Anliegen von Kollegen wie Henze und Nono spricht: „Es sollte nicht genormt, sondern eine subjektive, individuelle Äußerung sein. Darin sollte sich nicht eine übergeordnete Haltung ausdrücken, sondern der Eigensinn des oder der Schaffenden.“ Dieses Bekenntnis zum subjektiven Ausdruck ist auch der Erfolgsmotor für Jakob Lenz. Die Titelfigur stürzt im Textbuch Michael Fröhlings mit realen und visionären Episoden ins psychische Verstummen.
Die elf Musiker:innen aus dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim saßen auf der Bühne. Die Nähe zwischen den drei Hauptpartien, dem Sextett der Stimmen aus Lenz’ Innerem und den Kindern bewirkt in der Aufnahme eine starke akustische Verdichtung. Ollu lässt auch die Instrumente kantabel ausschwingen, immer in enger Synergie zu den exponierten Gesangspartien mit ihren Zickzack-Kursen zwischen Deklamation und Arioso. Ohne sich zu schonen, singt Joachim Goltz die Titelpartie mit Hochspannung und mit tenoralem Edelmetall in den für einen Bariton anstrengenden Extremhöhen. Patrick Zielke gibt ein beeindruckend tiefenentspanntes Porträt des Pastors Oberlin. Raphael Wittmer attackiert die Partie des Christoph Kaufmann ohne Angst vor exaltierten Linien mit der Angstlosigkeit eines sicheren Belcanto-Tenors. Rihms Oper ist auch ein säkulares Requiem, in dem die Titelfigur in der Reibung zwischen Gottnähe und Gottverlassenheit verlöscht. Mit expressiver Transparenz und Schönheit erklingt Jakob Lenz hier als Klassiker. Dessen Verstörung entspringt nicht provokativen Reizungen, sondern formaler und sinnfälliger Konzentration.
Roland Dippel