Piazzolla/Debussy/Tschaikowsky/Rabinski u.a.

Jahreszeiten

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Medien Vertrieb Heinzelmann MVH
erschienen in: das Orchester 09/2012 , Seite 75

Der Wechsel der Jahreszeiten gehört zum Schönsten, womit die Breitengrade Europas gesegnet sind, und musikgeschichtlich haben Frühling, Sommer, Herbst und Winter in allen Epochen ihre Spuren hinterlassen. Dass so unterschiedliche Komponisten wie Claude Debussy, Peter Tschaikowsky oder der Argentinier Astor Piazzolla dabei klanglich erstaunlich nah beieinander liegen können, davon legt die CD Jahreszeiten ein hörbar einfühlsames Zeugnis ab. Das Trio Artpassion hat eine originelle Idee überzeugend, empfindsam und humorvoll umgesetzt. Wer denkt beim Thema nicht sofort an Vivaldi!? Als 30-Sekünder erklingt Vivaldi quasi als Jingle vor der jeweiligen Titelfolge zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Mehr Vivaldi ist nicht zu hören. Stattdessen erklingen 19. und 20. Jahrhundert, darunter die bereits erwähnten drei Komponisten, dazu Gabriel Fauré, Jean Sibelius und Rodion Shchedrin sowie zwei zeitgenössische Werke von Jacek Rabinski und Andreas Peer Kähler, die eigens für das Trio geschrieben wurden und nun als CD-Ersteinspielung vorliegen.
Von besonderer Schönheit treten die vier Stücke Piazzollas hervor. Porteño bzw. Porteña heißen dessen Reminiszenzen an die Hafenstadt Buenos Aires, die – auf der Südhalbkugel ebenfalls im saisonalen Wechsel – je nach Jahreszeit andere Tangoklänge anstimmen. Wunderschön, wie sich etwa im Primavera Porteña (Frühling in Buenos Aires) der Bass (Karsten Lauke) aus seiner Begleiterrolle löst und mit einer zarten, hoffnungsfrohen Melodik beginnt. Eine ausführlichere Passage – im schwermütigen Tonfall – findet sich im Herbst, im Ontoño Porteño. Ergänzt mit einem satten, stets angenehm samtenen Klarinettenklang (Hajo Willimczik) und der runden, voluminösen Klangfarbe des Marimabafons (Andreas Winkler) erzeugt das Trio Artpassion einen herzallerliebsten, von durchweg gutem Gemüt getragenen Klangcharakter, den man sich gerne zum Freund nimmt. Die drei Musiker, die ansonsten hauptberuflich als Solisten in der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin fungieren, haben mit der einmaligen Besetzung einen neuen Maßstab in der Kammermusik gesetzt. Das Trio, das alle Stücke selbst arrangiert, kann sich mühelos in verschiedenste stilistische Richtungen aufmachen.
Die Four Seasons des 1956 in Warschau geborenen Komponisten Jacek Rabinski sind auf der CD en bloc von „Spring“ bis „Winter“ aufgenommen. Rabinski hat hier Miniaturen geschrieben, die sich immer ins Gleichgewicht von Rhythmik und Harmonik zu finden versuchen, jene Balance, die ja auch als immerwährende Herausforderung fürs Marimbafon gilt. In Rabinskis „Winter“ jedenfalls geht das Instrument den Alleingang und klappert – von Bass und Klarinette verlassen – vor Kälte mit den Zähnen.
Als Stimmungsbild dient auch der Winter des 1958 geborenen Andreas Kähler, der das Trio eine tieftraurige Melodie der traditionellen Volksmusik Nordschwedens spielen lässt. Die Zurücknahme in Klang und Ausdruck lässt sich als Verehrung der Klangwelten Arvo Pärts deuten. Der sparsamen Besetzung des Trio Artpassion kommt das gut entgegen.
Sven Scherz-Schade