Ralf-Olivier Schwarz

Jacques Offenbach

Ein europäisches Porträt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau
erschienen in: das Orchester 04/2019 , Seite 63

Jacques Offenbach gehört zu Köln wie der Dom, aber auch zu Paris wie der Eiffelturm. In Köln stand seine Wiege, in Paris reüssierte er als Entertainer, aber auch als Spötter des Zweiten Kaiserreichs. Mit der gesellschaftskritischen „Offenbachiade“ erfand er eine neue Gattung heiter-satirischen Musiktheaters, die Schule machte. Er war einer der erfolgreichsten Komponisten seiner Zeit. Und doch: Bis heute halten sich hartnäckige Vorurteile, die eine angemessene Rezeption des enorm fleißigen wie originellen Komponisten nachhaltig blockieren.
Ralf-Olivier Schwarz geht mit seinem Buch entschieden gegen „das schöne, schiefe Bild“ Offenbachs an. Chronologisch stellt er Lebens- und Karrierestationen Offenbachs dar, seine jüdische Kindheit in Köln mit dem prägenden Eindruck des Kölner Karnevals, aber auch der jüdischen Spielmanns- und Synagogenmusik, seine Pariser Karriere als Cellovirtuose, seine Theaterlaufbahn an unterschiedlichen Bühnen der Seinemetropole (Comédie-Française, Bouffes-Parisiens, Théâtre des Variétés, Opéra Comique) sowie seine Auslandsgastspiele in Bad Ems, Wien und in den USA, um die beispiellose Erfolgsgeschichte eines der originellsten Musiktheatraliker und seines rebellischen, satirischen Musiktheaters zu veranschaulichen.
„Offenbach ist Kind seines Jahrhunderts: Geboren kurz nach dem Wiener Kongress im preußischen Köln entflieht der Musiker dem deutschen Vormärz in das liberale Paris der Julimonarchie, die ,Hauptstadt des 19. Jahrhunderts‘. Während der Revolutionen des Jahres 1848, die er zunächst in Frankreich, dann in Deutschland erlebte, schreibt er ein Chant patriotique wie auch ein Vaterlandslied – für ihn schließt sich das nicht gegenseitig aus. Offenbachs Biografie spiegelt sowohl den wechselseitigen, produktiven und reichen kulturellen Einfluss zwischen Frankreich und Deutschland als auch die politischen Zerwürfnisse und Konkurrenzen im Europa des 19. Jahrhunderts wider“, so Ralf-Olivier Schwarz. Und weiter: „Auf seine sehr eigene, spielerische und spöttische Art setzt sich Offenbach mit den Erinnerungsorten Europas auseinander: mit den antiken Wurzeln und Mythen in Orphée aux enfers oder La Belle Hélène, mit dem vermeintlich finsteren Mittelalter in Barbe-Bleue oder mit den Abgründen der Romantik in Les Contes d’Hoffmann. Sowohl die Sehnsucht nach Einheit und Friede in den Rheinnixen oder der bissige Spott auf militärisches Machtgehabe in La Grande-Duchesse de Gérolstein – Offenbach scheut nicht die großen Themen seiner Zeit.“
Das mit Anmerkungen, Bibliografie und Werkverzeichnis versehene Buch referiert die Erkenntnisse der Offenbach-Forschung auf dem Stand von heute und bilanziert die Offenbach-Literatur von Anton Henseler (Jakob Offenbach, Berlin 1930) bis Jean-Claude Yon (Jacques Offenbach, Paris 2000), um nur zwei Marksteine der Offenbach-Forschung zu nennen. Man darf das Buch von Ralf-Olivier Schwarz schon jetzt als das neue, deutschsprachige Standardwerk in Sachen Offenbach bezeichnen.
Dieter David Scholz