Heiko Schon

Jacques Offenbach – Meister des Vergnügens

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Regionalia
erschienen in: das Orchester 04/2019 , Seite 64

Paradebeispiel der scheinbar unausrottbaren Klischees und Legenden der Offenbach-Rezeption ist die Fehleinschätzung des sogenannten Cancans aus der Opéra bouffon Orphée aux enfers. Schon sagt es unumwunden: „Offenbach hat gar keine Cancans komponiert, sondern Galopps. Die schlüpfrige Touristenbespaßung, der sogenannte French-Cancan, entsteht erst nach Offenbachs Tod.“
Tatsächlich hat Offenbach niemals die frivolen, beineschwingenden, kreischenden und Unterwäsche zeigenden Damen in seinen Werken auftreten lassen. Der sogenannte French-Cancan ist eine kommerzielle Tanzmode einschlägiger Nachtlokale, für die man nach Offenbachs Tod seine Musik okkupierte. Im Kapitel „Jacques Offenbach und der Wahnsinn der Beine“ liest man Wesentliches über den für Offenbach und seine Zeit wohl wichtigsten Tanz: „Der Walzer steht exemplarisch für das Zweite Kaiserreich, ist er doch gleichzeitig Rausch, Traum und Taumel, Realitätsflucht und melancholische Erinnerung. Offenbach weiß das und lässt ihn – mit feinen spöttischen Spitzen – durch sein gesamtes Œuvre wirbeln.“
Heiko Schon kennt erstaunlich viele Offenbach-Stücke. Mehr als einhundert stellt er vor in seinem Buch, immer nach der gleichen Methode: „Worum geht es? – Was steckt dahinter? – Die stärksten Nummern“, und am Ende jeder kurzen und bündigen Werkdarstellung gibt er unter der Rubrik „Zum Reinhören“ persönliche CD- oder DVD-Tipps.
Eingebettet sind die Werkbeschreibungen in 16 thematisch, nicht etwa chronologisch orientierte Kapitel, in denen es um das Cello geht, dem Offenbach bekanntermaßen sehr zugetan war, um „Spuren am Rhein“, um die „Frauen“, um die „Travestie“ oder um „rasselnde Säbel“, um nur einige Themen zu nennen.
Im Kapitel „Jacques Offenbach und die singende, klingende Synagoge“ – womit der Autor auf die Herkunft Offenbachs aus der jüdischen Musiktradition des Vaters anspielt – charakterisiert Schon unter anderem die Chinoiserie musicale Ba-ta-clan. Sie war Namensgeberin für das Pariser Vergnügungsetablissement mit Konzertsaal, welches 2015 durch einen Terroranschlag weltweit traurige Berühmtheit erlangte: „Ba-ta-clan ist eine völlig durchgeknallte Satire über eine herrschende Staatsführung, die ihr Volk nicht versteht. Das Stück thematisiert in seinem exotisch-chinesischen Gewand aber auch französischen Patriotismus sowie Gefühl von Heimweh und Entfremdung.“
Heiko Schon nennt Offenbach im Untertitel seines Buchs zwar einen „Meister des Vergnügens“, aber er verschweigt nicht die politisch subversive, gesellschafts- und autoritätskritische Stoßrichtung der Werke des Kölner Kantorensohns, der im Paris des Zweiten Kaiserreichs zum Maître de Plaisir avancierte und doch zugleich seiner Zeit mit Spott, Karikatur, Parodie und Satire einen Spiegel vorhielt. Das Buch von Heiko Schon ist leicht lesbar, mit flotter Feder geschrieben und eignet sich bestens als Einstieg ins Thema Offenbach.
Dieter David Scholz