Brüstle, Christa (Hg.)

Jacqueline Fontyn – Nulla Dies Sine Nota

Autobiographie, Gespräche, Werke

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Universal Edition, Wien 2013
erschienen in: das Orchester 05/2014 , Seite 67

„Mein Lieblingsinstrument ist das Orchester.“ Die belgische Komponistin Jacqueline Fontyn, 1930 in Antwerpen geboren, hat diese Aussage schon oft wiederholt. In dem Satz schwingt – mit voller Berechtigung – nicht nur ein Selbstbewusstsein mit, das auf einem stattlichen Werkkatalog fußt. Vielmehr beschreibt sie damit präzise ihre besondere Begabung. Denn wenn sie beispielsweise in Halo für Harfe und Kammerorchester den Strahlenkranz des Mondes in Klänge bannt, ergießt sich über die Zuhörer ein Füllhorn musikalischer Fantasie. Die Imaginationskraft, mit der sie aus der Palette der instrumentalen Farben immer wieder betörende Klangkombinationen mischt, ist verblüffend. Und der Erfolg gibt ihr recht. Das belegen nicht nur die Aufträge, die sie in jüngster Zeit von deutschen Orchestern erhielt. Ihre Werke erklangen mittlerweile auf allen Kontinenten. Vielleicht auch, weil ihre Kompositionen nichts mit den Klischees zeit-
genössischer Musik zu tun haben.
Der von Christa Brüstle herausgegebene Band, der 55. in der Reihe „Studien zur Wertungsforschung“, zeigt auf informative Weise, wie Jacqueline Fontyn zu ihrer eigenständigen ästhetischen Position fand. Gerade in der autobiografischen Skizze wird deutlich, wie die Flämin aus dem französischsprachigen Bürgertum die (nicht nur musikalische) Welt entdeckte. Der Text zeichnet das Bild einer Komponistin, deren professionelles Leben – jenseits aller ideologischer Grenzen – bis heute durch ein präzises Gespür für ihre gesellschaftlichen Möglichkeiten, eine nie versiegende Neugierde auf andere Menschen und eine enorme Reiselust geprägt ist.
In den klug disponierten Interviews mit Weggefährten werden nicht nur Episoden lebendig – Begegnungen mit dem Bartók-Forscher Denijs Dille oder den Komponisten Witold Lutoslawski und Goffredo Petrassi. Darüber hinaus wird es verständlich, warum sich Fontyn, die ihr Metier u.a. bei dem Schönberg-Schüler Max Deutsch in Paris erlernte, von den Epizentren der Nachkriegsavantgarde fern hielt. Deren intellektuell geprägten Diskurse haben sie nicht interessiert. Vielmehr schreibt sie bis heute eine Musik, die das Publikum nicht auf Distanz halten möchte und in einer eher französisch geprägten Tradition steht.
Das Ergebnis ihrer schöpferischen Arbeit ist eine Klangkunst, die dem menschlichen Leben auf heitere und geistreiche Art ungewohnten Glanz verleiht. Dass diese Haltung nicht naiv ist, wird in den Analysen deutlich. Auch für eine breitere, musikinteressierte Leserschaft wird nachvollziehbar, wie ihre elegante und bündige Musik entsteht: in einem langen Prozess, der mit einer Unmenge skizzierter Ideen beginnt und in einer bis ins letzte Detail sorgsam ausbalancierten Partitur mündet. Glücklicherweise ist von diesem Arbeitsaufwand in der Musik nichts mehr zu hören, denn die Werke von Jacqueline Fontyn bezaubern immer wieder durch ihre Frische und Kurzweil.
Thomas Beimel