Michael Maul

J. S. Bach ­–„Wie wunderbar sind deine Werke!“

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Insel, Berlin
erschienen in: das Orchester 04/2024 , Seite 64

Dieses handliche Büchlein ist eine Liebeserklärung des langjährigen Leipziger Bachforschers Michael Maul, der seit 2018 Intendant des jährlichen Leipziger Bachfestes ist. Maul verfällt bei aller Bewunderung für Bachs Meisterschaft nicht in Schwärmerei, sondern bewegt sich stets auf den gesicherten Pfaden musikgeschichtlicher Forschung. Zugleich vereint das Buch in sich sowohl die Funktion eines Werkführers als auch die des biografischen Leitfadens.
Allerdings beschränkt sich das Konzept auf einen begrenzten Ausschnitt aus Bachs Biografie, nämlich auf die Zeit seines Wirkens als Leipziger Thomaskantor bis zu seinem Tod im Jahr 1750, und spart dabei auch nicht die alltäglichen Probleme im Kantorenleben aus. Und die behandelte Werkauswahl ist begrenzt, denn sie widmet sich ausschließlich der geistlichen Vokalmusik dieser Epoche, nämlich den Leipziger Kantatenjahrgängen, den beiden Passionen und der h-Moll-Messe. Die parallel entstandenen und veröffentlichten Instrumentalwerke werden lediglich am Rande erwähnt. Insofern könnte der Buchtitel auf den ersten Blick eine falsche Erwartung wecken.
Maul formuliert die Absicht, die ihn geleitet hat, sehr genau: „Mein größtes Ziel beim Verfassen dieses Buches war es, bei den Lesern mit jedem Satz die Lust zu wecken, tiefer in Bachs geistliches Werk einzutauchen und sich selbst auf den schier endlosen Kosmos an kreativer Klangrede einzulassen.“ Um der Gefahr trockener Konzertführer-Analytik nicht zu erliegen, bedient er sich durchgängig eines originellen stilistischen Kunstgriffs: Er lockert den Text durch regelmäßige Einschübe auf, in denen er sich, jeweils zum Kontext passend, persönlich an Bach wendet („Verehrter Bach“, „Zuversichtlicher Bach“, „Austernhaft verschwiegener Bach“ usw.). Und er ergänzt dieses Stilmittel durch eine digitale Hilfestellung, um damit den jederzeit möglichen Zugriff auf das klingende Werkbeispiel sicherzustellen: Ein abgedruckter QR-Code führt direkt zu einer Spotify-Playlist mit jeweils auf den Text bezogenen Werkausschnitten, gekennzeichnet durch beigefügte Verweise am Rande des laufenden Textes.
Insgesamt geht dieses originelle Konzept einer Huldigungsschrift auf, auch wenn es für den unvorbereiteten Leser zunächst gewöhnungsbedürftig ist. Das Ineinander von Werkbetrachtung und Biografie erschließt sich jedoch recht bald, auch dank der nicht zu wissenschaftslastigen Sprachhaltung; Mauls Ausführungen sind immer gut verständlich, ohne komplexe Sachverhalte zu vereinfachen oder zu banalisieren. Vor zu spezieller Fachterminologie bewahren ihn seine offen vorgetragene Begeisterung und seine Liebe zum Gegenstand. Deshalb fügen sich auch seine bisweilen persönlich wertenden Meinungsäußerungen sinnvoll in das Textgefüge ein.
Arnold Werner-Jensen