Pietro Mascagni

Iris

Karine Babajanyan, Samuele Simoncini, Ernesto Petti, David Oštrek, Nina Clausen, Andrès Moreno García, Chor und Orchester der Berliner Operngruppe, Ltg. Felix Krieger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms OC 991, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 09/2021 , Seite 83

Vergleichen zwischen Pietro Mascagnis 1898 am Teatro Costanzi in Rom uraufgeführter Iris und Puccinis sechs Jahre später entstandener Madama Butterfly sollte man nicht zu viel Bedeutung beimessen. Erstens geht es in Butterfly um die Benutzung einer Japanerin im Drama gegenseitigen Missverstehens amerikanischer und japanischer Sozialisationen und zweitens gilt Butterfly seit Bekanntwerden der verschiedenen Fassungen als eine der modernsten Partituren Puccinis. In Iris dagegen schaffen es Japaner ganz allein, ohne Amerikaner, Mitmenschen wie Wegwerfware zu benutzen und zu zerstören – wie der sexgierige Osaka die für ihren blinden Vater sorgende Iris.
Mascagnis Oper, die mit aparter Synkopik und gemäßigterer Musik sicher nicht zum progressiven Verismo gehört, ist in Deutschland – abgesehen zum Beispiel von einer Produktion der Neuköllner Oper 2016 und einer Produktion in Chemnitz mit Svetlana Katchour – ein nur selten gespielter Wurf. Jetzt präsentiert die Berliner Operngruppe anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens die erste CD-Einspielung einer ihrer halbszenischen Aufführungen im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.
Den Kollektiven der Operngruppe unter Leitung von Felix Krieger kann man eine hohe Qualitätsstabilität bestätigen. Mit dem hohen Grundniveau des Orchesters lässt sich das Format ohne Weiteres als ernstzunehmende Fortsetzung der konzertanten Produktionen an der Deutschen Oper Berlin unter Götz Friedrich würdigen. Krieger hat eine glückliche Hand für die engagierten Mitwirkenden und das Können für deren bevorzugte Werkgruppe weniger bekannter italienischer Opern. Außerdem lässt er seine von Berlin über Bielefeld bis Bologna reichenden Beziehungen spielen und bringt so immer tolle Besetzungen zusammen.
Dieses Jahr etwa den nur in der heiklen Höhe seines Aufreißer-Ständchens leicht fies klingenden Samuele Simoncini als Verführer Osaka und David Oštrek als blinder Vater, den Krieger aus dem wenige Meter entfernten Knobelsdorff-Bau herüber bat. Die Puccini-Expertin Karine Babajanyan konnte man in letzter Zeit als Tosca an der Lindenoper, in der Bismarckstraße, in Leipzig und Paris hören. Je mehr es an den Tod des in einer Schlucht zerschmetterten naiven und im vom Chor prachtvoll gesungenen Sonnenhymnus Erlösung findenden Wesens geht, steigert sich Babajanyan zu einer tief berührenden Leistung. Man muss weit zurückdenken: Wie Lina Bruna Rasa, Mascagnis im Kern lyrisch besetzte Protagonistin seiner Cavalleria-Aufnahme von 1940, versteht Babajanyan Naturalismus nicht als nichtsängerische Hybrid-Tonerzeugung, sondern als Fortsetzung der Sopran-Genealogie von Norma über Aida zu La Wally. Ähnliche Glücksmomente vernahm man bei der Berliner Operngruppe auch in einer packenden Giovanna d’Arco (2018) oder bei Puccinis Edgar in der Fassung für Buenos Aires (2019). Die Spree-Opernfamilie delektiert sich also jedes Jahr zu Recht an den melodramatischen Filetstücken.
Roland Dippel