Christian Cöster

Intermezzo

Richard Strauss als Komödiant, Hermann Bahr und Hans Sommer. Studien zur Entstehung und Werkgestalt von "Intermezzo"

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Dohr
erschienen in: das Orchester 07-08/2021 , Seite 65

Nur zwei Fragen bleiben nach Christian Cösters Überarbeitung seiner Dissertation über Genese, ästhetische Struktur und biografische Hintergründe von Richard Strauss’ „bürgerlicher Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen“ op. 72: Warum denkt man sich noch immer „nur“ Garmisch als Schauplatz dieser luziden Oper, obwohl Strauss und seine Ehefrau Pauline zum biografischen Anlass 1902 ihr Domizil im oberbayerischen Marquartstein hatten? Zum anderen hat man nach Lektüre der profunden, ausgezeichneten Studie noch immer keine Antwort darauf, wer das historische Vorbild zum „Schnorrbaron“ Lummer war.
In Basel stand gerade die Inszenierung von Herbert Fritsch auf dem Spielplan, aber sonst machen Leitungen gerne einen Bogen um die Selbst-Exhibition Strauss’, der in seinen Bemühungen um eine rückwärts gewandte Erneuerung der Konversationsoper den kurz nach der Dresdner Uraufführung 1926 beginnenden Boom der „Zeitoper“ äußerst eigenwillig vorwegnahm.
Vor allem muss man Cöster dafür dankbar sein, dass er die Legenden und die von vielen Seiten kolportierten „entsetzlichen Szenen“, deren Strauss’ Ehefrau Pauline bezichtigt wurde, objektivierend reflektiert. Die Abschnitte über die Spuren von Strauss’ persönlichen Ehevorstellungen in Die Frau ohne Schatten und in Intermezzo – dessen Textbuch Strauss schließlich, nach den ihn nicht befriedigenden Entwürfen des Dramatikers Hermann Bahr, selbst geschrieben hatte – gehören zu den spannendsten.
Cöster erörtert auch die Entfremdung des Komponisten von Willy Levin, den er in der Figur des Kommerzienrates zur Bühnenfigur machte. Deutlich wird, wie Strauss auf Grundlage der Auseinandersetzung mit Ehekomödien von Hermann Bahr und Figurenkonstruktionen der frühen Moderne das im eigenen Schaffen und entstehungszeitlichen Kontext einmalige Projekt einer filmartigen „Nervenkomödie“ ohne eindeutige dramatische Höhepunkte mit der latenten Gliederung in fünf aktähnliche Abschnitte ausführte. Die Studie ermöglicht wissenschaftlich legitimierten Voyeurismus.
Auf Basis von Cösters Neuedition der Briefwechsel von Strauss, Willy Levin und Hans Sommer, mit dem Strauss seit seiner Zeit als Kapellmeister am Nationaltheater Weimar Kontakt hatte, offenbaren sich aufschlussreiche kreative Linien. Cöster würdigt Sommers Oper Saint Foix (1894) als dramaturgisches Vorbild für den zweiten Akt des Rosenkavalier und für die auf flüssige, leichte Sanglichkeit ausgerichtete Grundhaltung der Intermezzo-Partitur. Auch Eugen d’Alberts Dreieckskomödie Die Abreise wird in ihrer Bedeutung als Impulsgeber für Intermezzo reflektiert.
Indirekt begründet Cöster auch, warum sich, trotz der Vernachlässigung von Intermezzo, mit Interpretinnen wie Elisabeth Söderström und Felicity Lott in Großbritannien eine feine Aufführungslinie in der Landessprache entwickelte: Nie war Strauss den Gesellschaftskomödien Oscar Wildes näher.
Roland Dippel